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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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gab. Im Zug war sie gesessen, und ihre Beine hatten gezittert.
    Hier ist reserviert. Ein schnarrender Ton. Die Frau hatte sich im gerechten Zorn vor Toto aufgebaut. Das war verdammt noch mal ihr Sitzplatz. Sie hatte dafür gezahlt.
    Sie waren so wütend geworden, die Menschen, weil sie doch ahnten, dass sie nirgendwo mehr Recht bekamen, oder was sie dafür hielten, dass sich alles änderte und die Zeit nicht einmal so höflich war, bis nach ihrem Ableben zu warten.
    Mein Sitzplatz. Mein Recht. Mein Gesetz. Mein Garten. Eine graue Eminenz. Die Haare, die Wanderhosen, der Rucksack, nur die Wangen waren von geplatzten Adern gerötet.
    Entschuldigen Sie, sagte Toto und erhob sich, die Frau versuchte nicht einmal ihren Hass zu verbergen. Toto lächelte sie an. Nun wurde der Kopf der Dame rot, sie würde sterben! Sie wollte nicht von so etwas angelächelt werden, so einer, und sie wusste nicht, was es war.
    Sie hatte sich immer richtig verhalten, die Frau, deren Ersparnisse vor kurzem komplett in einen Bonus umgewandelt und an einen Banker ausgezahlt worden waren, und einen Mann hatte sie nie gefunden, sie hatte doch keinen gesucht, sie war politisch. In den späten vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts geboren, linke Aktivistin, große Freundin der Unterdrückten, und noch nicht mal das zählt heute noch was.
    Nicht mal verdammte Unterdrückte zählten mehr etwas, und alles, woran sie geglaubt hatte, gab es nicht mehr. Galt nichts mehr, sie hatte doch mit ihren Kameraden die Welt neu erfunden, alles zum ersten Mal gemacht. In Wohngemeinschaften am Boden geschlafen, obgleich das wirklich nicht so angenehm gewesen war, gegen Endlager demonstriert und für das Recht auf Abtreibung, und Gedichte hatte sie geschrieben, und zu Lesungen war sie gegangen, das war so unendlich mühevoll gewesen, nur Anstrengendes gelten lassen können, und nun wohnte sie in einer Überbauung am Stadtrand, es gab dort keine Cafés, einen Supermarkt, berufstätige Menschen und keine Kinder, und es schien immer ein Wind zu wehen, und sie war alt. Sie war verschissen alt, fuhr auf einem Tretroller, trug einen Rucksack, und nichts hatte sie bewirkt mit ihrem Kampf, ihren Demonstrationen, ihren Palästinensertüchern, Atomkraft-Nein-danke-Buttons, und ihre Revolution war ihr gestohlen worden von den jungen unpolitischen Idioten, die ein wenig in Internet-Foren rumkrähten. Immer wieder sagten Männer ihr, dass sie verbittert sei. Eine Frau hat nicht einfach eine schlechte Laune, oder eine Wut, sie ist verbittert. Weil sie nicht mehr natürlich ist und hingebungsvoll und gebend. Verbittert, frustriert, hysterisch, damit ordneten dumme alte Männer und dumme junge Frauen die verdammt schlechte Laune älterer Frauen ein, die dafür gekämpft hatten, dass die dummen Hühner heute schlechtbezahlte Politikerinnen werden konnten. Die jungen Frauen, die auf ihr Recht pochten, Röcke zu tragen, die das Gesäß nicht bedeckten, ohne ein Sexobjekt zu sein, sie mochten einfach den Luftzug am Hintern, junge Frauen, die solche wie sie Mannsweiber nannten, unweiblich nannten, verachteten, weil ihre Brüste hingen, sie sich die Haare nicht färbten, die jungen Frauen, die auf ihrer Gleichberechtigung bestanden, die sie dazu nutzten, von ihrem Mann Torben das Wickeln des Kindes einzufordern, nachdem Torben zwölf Stunden gearbeitet hat, und sie, das war ein anstrengender Tag in Bioläden und auf Erlebnisspielplätzen. Und nicht einmal das verdammte Recht auf ihren Sitzplatz wollte man ihr lassen, die Regierung machte, was sie wollte, sie rissen Gebäude ab, obwohl sie immer noch dagegen demonstrierte, fällte Bäume, verlegte Bahnhöfe unter die Erde, machte Krach, und sie ist tot, wenn alles irgendwann vielleicht mal wieder funktioniert. Sie wollte es angenehm haben, in den letzten Jahrzehnten, sie hatte sich das verdient. Dann saß sie auf ihrem Platz, reserviert, die Erregung verließ sie nicht, der Tag war ihr verdorben.
    Toto stand schon längst im Gang des überfüllten Zuges. Ihr Körper wurde kalt von plötzlich austretendem Schweiß. Sie musste sich festhalten, da war doch nichts zum Festhalten. So sank sie an den Boden, zwischen die Beine, ohne dass es jemanden zu einer Handlung veranlasst hätte. Vielleicht gibt es einen Vorrat an Mitgefühl, mit dem ein Mensch, wenn er unter gesunden Bedingungen aufwächst, ausgestattet ist. Und der war doch aufgebraucht bei den meisten. Jede Woche gibt es etwas zu trauern, ein Zugunglück, einen Flugzeugabsturz, eine

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