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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Schildern, die Welt lachte, die Woge brach einfach über dem Individuum zusammen und begrub es nicht einmal feierlich.
    Oben auf der Kuppe, dem Plateau, der künstlichen Lichtung im künstlichen Wald sprangen Erwachsene auf künstlichen Wiesen und Ställen aus Plastik herum und drückten Gefühle aus, die sie sehr gerne gehabt hätten. Es war ein furchtbarer Ort. Wenn Toto jetzt umkehrte, war der Zug in die Stadt vielleicht leer. Dann wäre die Stadt vielleicht leer, in dieser Sommerhitze, die seit einigen Jahren im März die Reste der Natur verstörte, die Vögel einsam aus unfertigen Nestern fallen machte, den Asphalt dampfen ließ. In die Stadt zurückfahren, um was zu tun? Fragte sich Toto und merkte, dass es ein ausgezeichneter Tag war, um ihr Leben wieder einmal zu ändern.
    Auf dem Bergrücken standen diverse Schnellstimbissrestaurants, die Tofu-Gerichte anboten, die aus Tierabfällen hergestellt wurden. Toto wollte noch einen Versuch wagen, eine Versöhnung mit dem Tag herzustellen.
    Sie reihte sich mit einem Tablett in einen Futterstream. Ein blonder Mann, oder ein Knabe, stand vor ihr. Der sich irgendwann umdrehte.
    Und die Erde bereitet sich vor auf ihren Untergang.
    Die Erde hatte gewackelt, die Ausflügler waren kurz erschrocken, ein paar Schreie, dann beruhigten sie sich, fragten, ob ihnen nur die Beine weich geworden waren, wegen des ungewohnt gesunden Essens auf dem Lande, sie hatten sich, peinlich berührt ob des eigenen Erschreckens, umgesehen und rasch in ihre verkleideten Sojawürste gebissen.
    Stunden her.
    Unterdessen waren die Restaurants geschlossen, die Plastiktiere in Plastikställen, der Berg lag da, erleuchtet von Laternen, Nachbildungen aus dem 18. Jahrhundert. Überwachungskameras arbeiten auch bei Nacht, hier arbeiteten sie immer, ständig waren Beamte mit Gesichtserkennungsprogrammen beschäftigt, mit dem Zuordnen, Einordnen, dem Verwalten von menschlichen Aktivitäten, da gab’s keinen bestimmten Zweck, wird schon nicht schaden.
    Die Nacht war kühl und roch fast albern nach Wald und Moos. Toto und der Mann, der Kasimir hieß und auch so aussah, eine durchscheinende Kasimir-Art hatte er, saßen auf der Bank vor einem der Restaurants, sie hatten das Reden begonnen, sie waren zusammengerückt, Toto hatte gemeint, sich an den Mann zu erinnern, aber: Nein, wir kennen uns nicht, hatte Kasimir gesagt und war noch näher gerückt, es war kühl, ja vielleicht sogar feucht, und als sie sich küssten, bebte die Erde. Ich glaube, die Erde hat gebebt, sagte Toto.
    Das scheint mir jetzt reichlich übertrieben. Sagte Kasimir. Er wirkte so freundlich und roch so gut, sie hatten über den Berg geredet, über die Natur, aber nicht lange, über die gab es nicht viel zu sagen, außer: Sie ist ja nun weg. Sie hatten von der Unmöglichkeit gesprochen, eine Meinung zu haben. Meine Meinung wechselt täglich. Sie ist ein gasförmiger Zustand in meinem Gehirn und verändert sich mit jeder neuen Information.
    Meinungen entstehen aus Gedanken. Die kommen und gehen, sind wie Atmen. An etwas festhalten, das so flüchtig ist, offenbart ein großes Maß an Trägheit und Ignoranz. Man müsste, wenn man bei Verstand ist, wann immer man sich äußert, sagen: In dieser Sekunde glaube ich etwas, doch schon morgen könnte ich anderer Meinung sein. Ein Fass ohne Boden. Hatte Toto gesagt, und erstaunt war sie gewesen, denn so viel am Stück hatte sie noch nie geredet. Danach schwiegen beide lange, die Dunkelheit löste sich auf, Kasimir sagte, schade. Schade, dass es hell wird und man sich dazu verhalten muss, zu der Helligkeit, zu dem neuen Tag.
    Ich werde nächste Woche nach Paris ziehen, hatte Kasimir gesagt. Toto nickte.
    Dann hatten sie sich geküsst. Unten, aus der Stadt, erklangen Sirenen. Helikopterrotoren zerteilten die verschwindende Nacht. Es ist das zweite Mal, das mich jemand küsst, aber darum gleich die Helikopterstaffel loslassen ist etwas übertrieben, dachte Toto.
    Sie war abgelenkt, der Moment vorüber, in dem Küsse angenehm sind, in dem man nicht darüber nachdenkt, was man da tut, der war vorbei, der Kuss wurde leer und albern, und dann trennten sich die Gesichter, und in Ermangelung einer anderen Idee legte Toto ihren Kopf auf Kasimirs Schulter, was eine rechte Verrenkung war, denn Kasimir reichte Toto bis zur Brust. Kasimir streichelte Totos Kopf, in der anderen Hand hatte er seinen Computer und sah Nachrichten. Totos Kopf an einem kleinen Mann, und unten ging die Welt unter.
    Aufgeregte Reporter

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