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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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waren, dass sie keine Reibungsflächen aufwiesen. Da fand gerade ein gewaltiger Austausch von Generationen statt. Nicht die der Väter und der Kinder, sondern die der neuen Menschen und der alten. Der neue Mensch hatte verstanden, dass nur Geld eine Wichtigkeit besitzt. Kreativität ein Schlagwort des letzten Jahrtausends. Der neue Mensch wusste, dass Kreativität nur wichtig war, um sich zu einem Label zu machen, um nicht unterzugehen zwischen all denen, die gleich aussehen, das Gleiche wollen, das Gleiche denken. Der neue Mensch hatte nicht viele wechselnde Geschlechtspartner, er legte sich sehr schnell fest, denn er wusste, dass zu Höchstleistungen nur imstande ist, wer über ein stabiles Umfeld verfügt. Der neue Mensch betrachtete den alten, aussterbenden erstaunt. Wie kann man rauchen, übergewichtig sein, wie kann man Fleisch essen und nicht fließend Englisch sprechen! Alle jungen Menschen in der neuen westlichen Welt waren strebsame kleine Automaten, oder sie waren Versager, die mit ihren trinkenden Eltern in den Siedlungen hockten und sich langweilten.
    Von fern sind Schüsse zu hören. Ein neues Hobby.
    Seit Kasimir, wenngleich ungern, akzeptiert hatte, dass er homosexuell war, seit er ein schwaches Gefühl für seine Zugehörigkeit zu einer Randgruppe spürte, betrachtete er die meisten heterosexuellen Männer als seine Feinde. 5000000000 Dollar verdiente Hedgefund-Chef John Paulson im Jahre zweitausendundzehn.
    Kasimir hasste ihn. Er hatte das Aussterben der alten Politiker, Geheimbündler, Milliardäre, Unternehmer, Soldaten, Religionsführer herbeigesehnt, aber ist einer weg, stehen schon wieder zehn frische da, jünger, federnder, abstoßender, uniformer. Dieser Krieg würde nie enden, auch wenn es Angehörigen seiner Randgruppe hier und da gelang, Bürgermeister zu werden. Solange die Medien, das Volkserziehungsinstrument Nummer eins, von Männern beherrscht wurden, würden sie das Bild drolliger Tucken vermitteln, ausschließlich an sexuellen Aktivitäten interessiert. Frauen fanden teilweise statt. Sie waren Kasimir egal. Apropos Frauen.
    Kasimir suchte sein Weidenkörbchen aus dem begehbaren Körbchen-Schrank. Er würde demnächst auf den Berg fahren, um ein wenig Biogemüse einzukaufen. Nicht weil ihm sonderlich am Verzehr der Ware lag, sondern weil es seiner Verachtung guttat, die befeuert werden musste, ehe ihm zu wohl wurde.

Und weiter.
    Totos Tagesablauf wurde zunehmend von ihrer körperlichen Verfassung bestimmt. Sie fühlte sich schwach, und die Übelkeit, die völlig unberechenbar auftrat und wieder verschwand, ließ die Zeit verschwimmen, in ständiger Erwartung unangenehmer Momente, und obgleich nichts passierte, verging sie zu schnell, die Zeit, obgleich die Welt nur mehr im Fernseher stattzufinden schien, absurd schnell. Davon hatten Ältere doch immer schon zu berichten gewusst, vom Verschwinden der Unendlichkeit, und Toto hatte geglaubt, das geschähe nur denen, die sich zu fest eingerichtet hatten in ihrer Routine. Die stehengeblieben waren, die sagten: Ja, damals gab es noch gute Musik, die nichts Neues mehr lernten, sich für nichts mehr begeisterten.
    Auch Toto tat sich schwer mit der Euphorie, doch versuchte sie, nicht einzuschlafen. Toto lernte Französisch, komponierte ein wenig, erbrach sich, und schon wieder war ein Tag vorbei, und schon wieder war Herbst, schon wieder konnte sie den Ereignissen in der Welt kaum mehr folgen. Die Menschen überstanden die seltsamen Seuchen, die sich mehrten, verdauten das künstliche Essen, die Leiber geschüttelt von Allergien, doch immerhin, sie lebten, lebten lange im letzten Winkel der Welt. Für Toto und ihre Nachbarn war alles, was außerhalb ihres Sichtfeldes lag, nur Fernsehen, würde irgendwann mit ein bisschen Abstand zu Geschichte werden, zu einer Zeit, in der Milliarden zufällig gelebt haben. Sie registrierten, dass die Kriege nicht mehr irgendwo stattfanden, sondern vor ihrer Haustür. Zu viele Kulturen und Nationen in unerfreulichem Umfeld. Gereiztheit ein Dauerton, wie das Summen alter Telefonmasten. Was interessiert einen Brasilien, wenn das Futter für die streunenden Tiere, das Toto jeden Abend vor die Tür stellte, von aggressiven Menschen, die ihren Platz nicht mehr fanden, weil es keinen mehr gab, weil es zu eng geworden war, weggeschüttet wurde, mit Nägeln bestückt, mit Kot vermischt?
    An einem Sonntag war das, als Toto sich einen Ausflug vorgenommen hatte, um zu überprüfen, ob es hinter ihrem Block noch etwas

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