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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Kleidern, mit der asozialen Herkunft. Waren die Kinder im Heim auch nicht unbedingt miteinander befreundet, hielten sie in der Schule doch zusammen, gegen die Spießer, die ordentlichen mit den ordentlichen langweiligen Eltern, um die die Heimkinder sie doch so sehr beneideten.
    Am Eingang zum Schulgelände standen die großen Heimjungen und rauchten. Jeder musste an ihnen vorbei, mit Angst, wie sie da lungerten, ein Bein an die Mauer gestützt, und wenn ihnen ein Kind nicht gefiel, weil es einen zu roten Pullover trug oder zu gute Laune hatte, dann schlugen sie zu. Die Mädchen, die waren nicht besser, sie standen am anderen Eingang, verfolgten die Schulkinder, besonders die weiblichen, mit bösen Kommentaren, mitunter wurden sie handgreiflich. Sie hassten sie so sehr, diese ordentlichen Kinder mit ihren gebügelten Eltern, und wenigstens Angst sollten sie vor ihnen haben, die mit dem besseren Leben. Toto betrat das Schulgebäude unbehelligt. Er gehörte zu denen vom Heim, sie ließen ihn in Ruhe, mehr konnte er nicht erwarten. Vor dem Unterricht bildeten sich auf dem Schulhof Gruppen und Paare, nur wenige standen allein, einer von ihnen war Toto, der seinen Platz jeden Tag neben dem Toilettenhaus bezog, weil er von da aus alles überblicken und hervorragend die Bäume betrachten konnte.
    Auf dem Hof war Bewegung entstanden, schnell bildete sich ein Kreis, es gab was zu sehen, vielleicht sogar Blut? Blut sah jeder gerne, wenn es nicht das eigene war, Prügeleien sah jeder gerne, wenn er nicht selbst verprügelt wurde, Aggressionen und Peinlichkeiten, ohnmächtige Kinder, gefallene Kinder, das sah man sich doch gerne an, und wenn man nicht beteiligt war, sah man sich auch gerne Unfälle an, doch nicht, um zu begreifen, wie schnell ein gesunder Körper zu einem geschundenen wird, sondern um sich zu freuen, dass einer weniger zur Konkurrenz gehörte.
    Zwei Jungen der Oberstufe schauten auf ein Kind, das vor ihnen kniete. Die beiden Großen trugen ihre gesamte Lebensgeschichte bereits in den Gesichtern. Schule beenden, Lehre auf dem Bau, Arbeiten bis zur Frühpensionierung, tschüss. Der kniende Junge wirkte wie eine Maus, auch ihm stand kein glamouröses Leben bevor, er würde unscheinbar bleiben und sich später durch eine ständig verfeinerte Verschlagenheit durchmogeln.
    Sag, dass deine Mutter eine Nutte ist! verlangten die Großen und schlugen dem Kleinen auf den Kopf. Was eine Nutte ist, wusste der Kleine nicht, sprach den Satz nach, unter Tränen. Toto war näher an den Kreis getreten, um zu sehen, was da passierte, Demütigung passierte da und eine Ausübung von Macht, was Menschen, besonders männliche, immer interessiert.
    Als der weinende Junge angespuckt wurde, passierte etwas in Toto, er war noch nie zornig gewesen und begriff nicht, was da in seinem Körper aufstieg, ihn kaum mehr atmen ließ, ihn explodieren machte und loslaufen, den kleinen Jungen an sich reißen und die Großen in den Magen stoßen. Toto spürte nicht, dass das Kind, das er an seinen Körper gepresst hatte, sich wand, nicht weggetragen werden wollte wie ein Ball ins Tor. Toto lief. Das war nicht fair. Es war nicht richtig, jemanden anzuspucken, ihn knien zu lassen, zu schlagen, ihn auszulachen, ihn in Kinderheime zu sperren, es war nicht richtig, Kinder herzustellen, die man nicht streicheln wollte, das war doch alles nicht auszuhalten, diese Welt, in der immer die gewinnen, die lauter sind und böser. Lass mich runter, lass mich runter, du Schwuchtel, schrie der kleine Junge, er wand sich, er trat gegen Totos Beine, der irgendwann aus seinem Rausch erwachte, ungläubig sah, dass das Kind weglief, sich umdrehte, den Mittelfinger in den Himmel streckte.
    Im Verlauf des Tages fragte sich Toto, was nur so abstoßend an ihm war. Er betrachtete seine Hände, die groß und wie knochenlos auf dem Pult lagen, er sah seine Beine, die unter dem Tisch gestaucht waren. Bedauernswerte Beine, sehen aus wie in eine Tüte gepresst, die Hose eindeutig zu eng und zu kurz. Vorn an der Tafel versuchte ein Genosse Lehrer den Schülern das sozialistische Verständnis von Geographie zu vermitteln. Die Zeitzonen der Sowjetunion. Und die Bodenschätze. Und dann irgendwann später würde der Rest der sozialistischen Brüder folgen, so dass die Kinder aufwüchsen in der schönen Gewissheit, dass die Erde bedeckt ist von freundlichen Ländern, wo rote Fahnen wehen und die Arbeiter und Bauern gesiegt haben.
    Der Erdkundelehrer hasste Toto, wusste aber um die

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