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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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etliche Millionen, die Welt hatte sich so verkleinert, das schöne Leben jener null Komma null null drei Prozent, die im Besitz des kompletten, täglich um fünfundsiebzig Prozent wachsenden Weltvermögens waren, war greifbar nah, durch all die farbigen Bilder im Netz, aber mit dem greifbar war das nicht so einfach, und das machte so verdammt unzufrieden. Sie saßen an ihren Computern und glaubten an eine vorübergehende Konjunkturschwäche, wird alles nicht so schlimm, suchten die Schuld für den persönlichen Engpass bei der Überalterung der Gesellschaft, bei der Klimaveränderung, beim Papst und natürlich bei der Regierung. Sie mochten nicht glauben, dass sie in diesem nagelneuen, noch fast unbenutzten Jahrtausend wieder um ihre Existenz kämpfen mussten, sie konnten sich nicht vorstellen, dass sie die Sicherheit, die ihre Eltern noch gekannt hatten, nie kennenlernen würden.
    Und sie ahnen nicht, dass alles noch schlimmer kommt. Obdachlos, ständige Naturkatastrophen, fuck it.

2000–2010.

Und weiter.
    Für Toto hatte es sich nicht wirklich brillant weiterentwickelt, das Leben, seit er seine Wohnung verloren hatte. Er beklagte sich nicht, da war auch keiner, der ihm hätte zuhören wollen, aber auch wenn da einer gewesen wäre, er hätte kaum gejammert, denn wenn man mit einem Minimum an Anstrengung durch das Leben kommen will, wenn man sich dem bürgerlichen Jahrtausend entzieht, dann stehen einem wohl auch keine außerordentlichen Geschenke zu. Diese tiefen Gefühle und deren Analyse, das Bedeutsame eines Lebens, die Entscheidungen, um die ein großes Theater zu machen war, die erschütternden Zwiegespräche, die finden doch nur in Filmen statt. Oder in langen Gesprächen mit langjährigen Freunden. Ist einer allein, so wie Toto, und spricht mit keinem, dann bekommt das Dasein schnell etwas sehr Eindimensionales, besteht aus Handlungen und Abfolgen, versinkt in Schweigsamkeit und Funktion. Verliert seine interessante Bebilderung und ist eben einfach ein Dasein. Toto fragte nicht, er hatte nicht das Bedürfnis, sich mitzuteilen, er handelte instinktiv und nach Lage.
    Die Konzerte waren eingestellt worden, nachdem die Besucher ausgeblieben waren; um genau zu sein, seine Kündigung war jenem Abend zuzurechnen, als er vor drei jungen betrunkenen Männern gesungen hatte, die den vermeintlichen Homosexuellen mit Bierflaschen beworfen hatten und die, später nach diesem Ereignis befragt, mit den Schultern zuckten.
    Die Zuschauer hatten also ihren Spaß gehabt mit dem jammernden Freak, sie begannen sich zu langweilen, sie mussten weiter, zum nächsten Event, mussten in Outdoor-Läden, die überall neu entstanden. Wenn schon die Natur verschwindet, will man dem Ereignis doch in einer wasserdichten Jacke beiwohnen.
    Wenige Tage nach dem Ende seiner Samstagskonzerte war die Striptease-Bar, in der Toto gearbeitet hatte, geschlossen worden, die alten Etablissements hatten nur überlebt, wenn sie sich zu sterilen Neonsexpalästen umfunktionieren konnten, denn keiner mochte mehr Orte aufsuchen, wo Bakterien vorhanden sein können, die die Arbeitskraft schwächen.
    Toto war nur sein Reinigungsjob geblieben. Einige Monate hatte er versucht, neue Arbeit zu finden, doch auf jede minderwertige Stelle kamen hundert Bewerber. Toto aß jeden Abend eine Dose Makrelen in Tomatensoße, er hatte ständig ein leichtes Hungergefühl, er fror oft, war müde und seine Gelenke geschwollen. Der Körper wollte irgendwas nicht mehr, vielleicht wollte er nicht mehr funktionieren.
    Das Haus, in dem sich seine Wohnung, die ihm eine Heimat geworden war, ohne dass er sie so nannte, das wäre ja absurd gewesen, eine Wohnung Heimat zu nennen, er lebte in einem Land, wo man für die Heimat starb, wo die Liebe zur Scholle wieder offiziell erlaubt war, nachdem die Bevölkerung lange neidisch zugesehen hatte, wie fröhliche Einwanderer ihre Fahnen hissten und ihre Nationalhymnen sangen – das Haus war also sehr plötzlich verkauft worden. Keiner der meist drogensüchtigen Mieter hatte sich zu wehren gewusst. Wenig später befanden sich Eigentumswohnungen in dem Gebäude, das mit neuem Putz und Glasfahrstuhl zu einem begehrten Investitionsobjekt geworden war. Die Gegend, in der Toto viele Jahre verbracht hatte, war nun Teil der modernen Welt, wo rote Farbe und schlechtes, aus Asien kopiertes Design vorherrschten. Die kleinen Läden mit ihren staubigen Makrelendosen hatten Sushifließbändern und Bars Platz gemacht, selbst die Prostituierten wurden von

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