Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
vorsichtshalber einen Logopäden, um sprachliche Defizite zu vermeiden.
Nach drei Wochen war die verordnete Ruhe vorbei, und ich musste zu einer Abschlussuntersuchung. Man war zufrieden und entließ mich ins Nirgendwo. Man gab mir den Gedanken mit, dass mein bisheriger Beruf sicherlich nicht der beste für meine Gesundheit wäre. Ich sollte mich umorientieren.
Ich nickte brav, mir war sowieso alles egal.
Jenny sah die Situation genauso. Sie versuchte immer wieder, mich von meiner Idee abzubringen, Chris zur Strecke bringen zu wollen. Er musste hinter Schloss und Riegel bleiben. Darüber waren Jenny und ich uns wenigstens einig.
*
Weihnachten näherte sich unbemerkt und verschwand auch nahezu unbemerkt. Wir hatten beschlossen, keine Dekoration in der Wohnung aufzuhängen, da sie uns geheuchelt erschien. Irgendwie hielten wir die Zeit aus und warten auf den Beginn des neuen Jahres, wenn Jennys Suspension vom Dienst vorbei sein würde.
Januar 2010 begann.
Der Prozess kam in Gang, indem Dr. Brisco das Buch verlangte, von dem Chris ihm erzählt hatte.
Aha, Chris hatte also auch eine Strategie entwickelt.
Angeblich sollte eine Prügelei zwischen ihm und Jenny stattgefunden haben. Na, das mit den selbst zugefügten Blessuren kannten wir ja schon.
Zunächst organisierte Jenny über Josh, unseren Musterpfleger aus der Klinik, ein identisches Buch. Ich hatte derweil ein Gespräch mit meinem Chef wegen meiner weiteren Einstellung in dieser Klinik. Überrascht nahm ich Dr. Briscos Vorschlag an, mich noch einige Wochen zu schonen und dann erst einmal für wenige Stunden am Tag leichte Aufgaben zu übernehmen. Ihm schwebte ein Integrations-Programm vor, wie er selbst sagte. Er würde mich nicht so schnell aufgeben wollen. Das baute mein Selbstbewusstsein enorm auf. Ich kam in ein finanzielles Unterstützungsprogramm meiner Krankenkasse und meines Arbeitgebers und konnte meine monatlichen Auslagen bewältigen.
Zudem sah ich meinem ersten Arbeitstag im Februar entgegen.
Uns war natürlich klar, dass Chris meine Handschrift exakt kopiert hatte, um mich zu verwirren. Es hatte schließlich ausreichend Möglichkeiten gegeben, die zu erlernen. Er konfrontierte mich auf diese Art wieder mit meiner Vaterrolle. Zugleich spielte ihm seine Schizophrenie einen bösen Streich. Er konnte mich von seinem Vater nicht mehr wirklich trennen. Das war gefährlich. Das war aber auch für mich die Möglichkeit, ihn zu erreichen.
Wir überlegten, was ich hinten in dem Buch eintragen könnte, damit diese verdammten 10 Regeln ihre Aussagen verlieren würden. Ich formulierte seine Worte um. Das sah dann so aus:
Hallo Chris, mein lieber Junge.
Wie geht es dir?
Ich hoffe, dass es dir gut geht und du dir alle Mühe gibst, ein guter Junge zu sein. Du musst immer aufpassen, alles richtig zu machen.
Jetzt bist du schon ein richtig junger Mann. Es wird Zeit, dass ich dir etwas über das Leben schreibe. Ich weiß, dass du sehr klug in der Schule bist, aber im Leben brauchst du noch Hilfe.
Regel Nummer 1:
Sag den anderen immer die reine Wahrheit. Sobald du versuchst, die anderen über dich und deine Gefühle zu belügen, bekommst du nur Schwierigkeiten.
Regel Nummer 2:
Tu immer das was richtig ist, nicht, was die anderen erwarten. Täusche die anderen nicht. Mache nichts heimlich. Es ist falsch, andere zu täuschen und um den Finger zu wickeln. Es kommt früher oder später immer ans Tageslicht.
Regel Nummer 3:
Sei ein fröhlicher, höflicher und freundlicher Junge und verbanne alle schlechten Gedanken. Ehrliche Freundlichkeit macht viel Spaß. Du brauchst dann nie mehr zu schreien und zu schlagen.
Regel Nummer 4:
Sei immer sauber und gepflegt. Reinlichkeit ist gut für den Geist. Also, immer sorgfältig Duschen und frische Sachen anziehen.
Regel Nummer 5:
Lerne, deine Worte gut zu wählen. Sage immer die Wahrheit, auch wenn sie unangenehm ist und unfreundlich klingt. Aber damit können die anderen Menschen besser umgehen, als wenn du sie anlügst. Ehrlichkeit ist eine Tugend. Du wirst damit viele gute Freunde finden.
Regel Nummer 6:
Rede mit anderen über deine Probleme, damit sie dir helfen können, bevor du noch mehr Probleme bekommst. Wenn du nämlich böse Sachen machst, wird man dich dafür einsperren.
Regel Nummer 7:
Unterdrücke deine Lust und deinen Trieb, wenn beide nicht in Ordnung sind. Denke an die anderen Menschen, die du damit schlimm verletzten könntest. Wenn du Sex hast, dann immer mit jemanden, der das auch gerne mit dir
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