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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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alles so direkt heraus. Das ist nicht immer klug.
Wir hofften dennoch inständig, dass Brisco das Buch wieder an Chris zurückgeben würde und wiesen ihn höflich darauf hin. Dabei erläuterten wir, wie wichtig dem Jungen das Schreiben ist. Auch wenn es etwas merkwürdig klingt. Brisco nickte.
    Ich durfte am ersten Tag genau drei Stunden bleiben und begrüßte erst einmal Annie und Josh auf meiner Station. Rührenderweise hatte man mir einen Strauß Blumen zur Begrüßung in mein Büro gestellt. Davor eine lustige Gute-Besserungs-Karte. Die sollte mich aufmuntern und hielt Wort.
Einige Kinder kamen und begrüßten mich ebenfalls. Darunter auch Henry. Sie brachten selbst gemalte Bilder mit. Henry hatte unsere Begegnung mit der Schaukel gezeichnet und mich als Pirat gemalt. Ich war gerührt.
Die Station hatte inzwischen einen neuen Stationsarzt gekommen, Dr. Hamond. Er kam und stellte sich mir vor. Ich empfand ihn als kaltherzig und musste an meine Mit-Kommilitonen denken, die die besten Noten eingefahren hatten. Ich schwamm eher am Ende mit. Vielleicht ist es ein Gesetz der Natur, sich nur für eine Richtung entscheiden zu können: Berufung oder Beruf. Ich lebte das erste.
Dr. Hamond erklärte mir die neuen Regeln auf der Station. Auch dass die Kinder ihn niemals im Büro stören dürften. Wenn die Tür zu ist, ist das Zimmer tabu – für jeden. Na, wenn das mal keine Lösung ist, sich jederzeit Ruhe zu verschaffen.
Ich fragte Annie, wie sie mit Hamond klarkäme. So lala, sagte sie. Einerseits würde er eine ordentliche Struktur auf die Station bringen, andererseits wäre er für die spontanen Nöte der Jungen zu hart.
Na, dann hatte Dr. Brisco vielleicht nicht unüberlegt entschieden, mich wieder aufzunehmen. Ich war das Gegenstück. Wir beide würden eine brisante Mischung geben.
Ich studierte zwei Stunden lang Unterlagen über die letzten Vorgänge auf meiner Station und fuhr heim.
Jenny kam fünf Stunden später nach. Sie hatte keinen ruhigen Tag. Man hatte ihr wieder eine Vertretung an die Hand gegeben, der sie einige Schulstunden Kunst beisitzen musste, um zu lernen, wie man ihr sagte, besser mit der Situation umzugehen. Dabei musste Jenny erdulden, wie Chris sie mit Blicken zerfraß, während er Mrs. Twielang zuvorkommend und gehorsam behandelte.
Brisco musste bei diesem Verhalten den Eindruck bekommen, dass Mrs. Twielang weit kompetenter wäre als Mrs. Keller. Chris bestimmte nach wie vor das Spiel.
Jenny weinte, als sie davon erzählte. Ihre Kampfeslust verlor sich Tag für Tag mehr.
Jetzt war uns bewusst, dass wir beißen lernen mussten und sahen auf die abgenagten Knochen von unseren Steaks, die wir soeben verzehrt hatten.

Ich übernahm zwei Therapiestunden von Dr. Hamond, während Jenny zu Dr. Brisco ins Büro gerufen wurde.
„Mrs. Twielang unterrichtet seit zwei Monaten die Kunstklasse. Ohne weitere Vorkommnisse. Keine Probleme. Auch nicht mit Gelton“, sagte er zu Eingang des Gesprächs.
Jenny lagen hundert Argumente auf der Zunge, weshalb es so war, doch sie schluckte sie herunter und sagte stattdessen: „Sie ist eine sehr gute Lehrerin. Selbst Chris scheint sie zu mögen. Damit befinde ich mich im Nachteil.“
„Da sich herausgestellt hat, dass Sie Chris nicht angegriffen haben, sollten wir ein Gespräch zusammen mit ihm führen. Denken Sie nicht auch?“
Jenny erschrak. Dann lenkte sie ein: „Ja, das sehe ich auch so. Ich würde ihn zu gerne fragen, weshalb er mich beschuldigt hat.“
„… noch immer beschuldigt“, ergänzte Brisco, „vergessen Sie das nicht. Aber seien Sie sicher, es reicht aus, dass der körperliche Befund nicht mit seinen Aussagen übereinstimmt. Ich stehe also voll und ganz hinter Ihnen bei diesem Zusammentreffen.“ Dabei hielt er Jenny freundschaftlich die Hand entgegen.
„Wann, dachten Sie, sollen wir das Gespräch führen?“, fragte sie.
„In drei Stunden. Dann hat der Junge frei.“
„So schnell schon? Ich hätte mich gerne ein wenig vorbereitet.“
„Na, dann gebe ich Ihnen jetzt frei, und Sie können sich in Ihr Büro zurückziehen, um ein paar Fragen aufzuschreiben.“
Wie mir Jenny später erzählte, war ihr nicht eine sinnvolle Frage eingefallen.
    Das Gespräch fand tatsächlich drei Stunden später statt und dauerte nur 30 Minuten.
Jenny hatte sich vorbereiten wollen, aber das war ihr nicht gelungen, da sie eine zu große Nervosität eingeholt hatte. Sollte sie Chris wütend, schweigend oder gar freundlich begegnen? Doch egal wie, er würde ein

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