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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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mal zu mir: Er wird dich zugrunde richten.
Ich sagte zu Jenny: „Geben wir ihm doch einfach Pillen.“
„So einfach ist das nicht.“
„Wieso?“, fragte ich.
„Weil er sich tadellos führt. Dr. Brisco spielt mit dem Gedanken, ihn etwas zu rehabilitieren. Genau, wie Chris es geplant hat. Und wenn die Dosierung der Medikamente herabgesetzt ist, wird seine Fantasie wieder größer.“
„Hat Dr. Brisco das Buch gelesen?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil Chris dich jetzt mit reinzieht. Das kann ich nicht zulassen.“
Jenny wusste also wegen der Schrift Bescheid.
„Aber Dr. Brisco ist doch nicht blöd. Er weiß, dass ich das nicht geschrieben haben kann. Ich lag im Koma.“
Jenny zögerte. Ich sah es genau und sah sie eindringlich an.
„Bob, lass uns aufhören, den Kopf über Chris zu zerbrechen. Du musst jetzt an dich denken, nicht an andere.“
Ich sah sie weiterhin eindringlich an. Sie sah weg und ging zum Fenster. Sie wusste etwas. Ich wurde unruhig und sah sie weiterhin streng an, wenn auch nur von hinten.
Jenny drehte sich um. „Du darfst dich jetzt nicht damit beschäftigen. Es geht dir nicht gut.“
Ich schnaufte verächtlich. Wann war es mir in dem letzten Jahr jemals gut gegangen?
„Hör auf“, hörte ich Jennys nachdringlich sagen. „Du bringst mich in einen Konflikt.“
Ich nickte und sah mir meine Bettdecke uninteressiert an. Sie wusste, dass ich nicht lockerlassen würde.
Nach quälenden Minuten der Schweigsamkeit sagte sie: „Chris sagte mir, du hättest ihm das Buch einmal heimlich zugesteckt und es ihm plötzlich wieder weggenommen, um hinten etwas einzutragen. Das war vor deinem Unfall.“
Ich wurde rot. „Das ist doch Schwachsinn!“, entfuhr es mir.
„Das klingt erst mal logisch“, sagte Jenny leise, um mich wieder runterzuholen.
„Das klingt nach Schizophrenie.“
„Chris führt sich tadellos.“
Ich nickte. Ich verstand. Die 10 Regeln, oder sollte ich besser Gebote sagen?
Jenny drehte sich wieder zum Fenster. „Ben sagt, wir sollten beide unsere Stelle kündigen. Es wäre das Beste für uns. Dann könnten wir Chris ganz langsam vergessen und würden wieder in ein normales Leben finden.“
„Ben weiß aber auch, dass wir damit einen hochgefährlichen Menschen ins Leben entlassen. Wissentlich.“
„Damit müssen wir leben.“
„Er wird uns aufsuchen, wenn er raus ist.“
Im Glas der Fensterscheiben sah ich Tränen in ihren Augen widerspiegeln. Angst? 
„Sind wir so machtlos?“, fragte ich leise. Jenny deutete ein Nicken an. Sie flüsterte: „Wenn Brisco dich jetzt so sieht, wird er feststellen, dass du nicht mehr einsatzfähig bist. Wir sind beide am Ende. Wir sind zwei Wracks, denen man nicht mehr glauben wird. Brisco will kompetente Fachleute.“
Jenny drehte sich wieder zu mir und schnäuzte in ein Taschentuch. Sie hatte Recht. Was sollte Brisco jetzt noch mit uns anfangen? Er würde es sicherlich begrüßen, wenn wir ihm die Entscheidung einer Kündigung abnehmen würden. Chris hatte uns ins Aus geschossen. Und unsere berufliche Existenz dazu.
„Chris müsste sich selbst verraten“, flüsterte ich deprimiert vor mir hin.
Wir schwiegen ein paar Minuten und ließen den Gedanken in sich wirken.
Dann sagte Jenny: „Er wird es nicht tun. Dafür ist er zu klug und zu diszipliniert. Seine Gedankengänge sind für uns unerreichbar.“
„Dann müssen wir uns in ihn hineinversetzen und etwas finden, was ihn verletzbar macht.“
„Wir? Wann? Wenn wir wieder unsere Arbeit aufnehmen? Welche Arbeit?“
Wir schwiegen wieder.
„Sein Vater!“, dachte ich meinen letzten Gedanken zu Ende. Ich sah Jenny erwartungsvoll an. Wir hatte die gefährlichste Waffe überhaupt gegen ihn in der Hand: seinen Vater.
Der, der jetzt in ihm steckte, müsste zu seinem größten Feind werden.
    *
    Nach drei Tagen war ich wieder zu Hause. Wieder ein Déjà-vu.
Diesmal wich mir Jenny nicht von der Seite und zog bei mir ein. Sie befürchtete einen erneuten Absturz meinerseits. Ich empfand sie nicht mehr als das Mädchen, in das ich mich vor meinem Unfall verliebt hatte, jetzt empfand ich sie als Freundin. Ebenso respektvoll pflegten wir den Umgang miteinander. Keine Berührung, kein zweideutiges Wort.
Zunächst hatte mir der Arzt wieder viel Ruhe verschrieben. Ruhe, die ich kaum für das nutzen konnte, was ihm vorschwebte, nämlich körperliche und geistige Erholung. Ruhe hieß für mich denken.
Ich absolvierte brav meine verordnete Gymnastik, schluckte meine Blutverdünner und besuchte

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