Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
kontrollierte meine Hausaufgaben. Alles machte richtig Spaß.
Monica schlief auch nachts bei uns. Wir waren eine richtige Familie.
Monica organisierte einen Familientag in der Woche, wo wir ins Kino gingen oder abends Karten spielten. Dann gab es Chips und Limo.
Meine Noten in der Schule wurden wieder besser. Meine Kleider hatten keine Löcher mehr. Ich bekam sogar eine neue Hose. Merkwürdigerweise hatte die schon Löcher drin. Monica sagte, das trage man jetzt so. Es gibt Löcher und Löcher. Eine verrückte Welt, nicht wahr?
Von meiner Mutter sah und hörte ich nichts. Vielleicht war sie auch gestorben.
Brad und ich wuschen das Auto zusammen und bespritzten uns mit Schaum. Monica kam und brachte Schnittchen zum Abendbrot und wurde dann auch von uns mit Schaum bespritzt.
Mann, war das ein Leben!
Dann wurde Brad wieder schlecht gelaunt. Plötzlich schrie er Monica an und schlug sie. Dann rannte sie weg.
Meine Mutter kam wieder heim.
Sie saß den ganzen Tag auf dem Sofa und zählte ihre Pillen. Ich fragte mich, wann sie endlich fertig wäre. Fünf Pillen morgens, fünf Pillen mittags, fünf Pillen abends. Das konnte doch nicht so schwer sein! Ich konnte sie sogar aus der Entfernung zählen.
Als Brad arbeiten war, fragte ich meine Mutter: „Spielen wir Karten?“
Sie fragte: „Was?“
„Na“, sagte ich, „das haben wir mit Monica jede Woche gemacht. Und wir waren im Kino. Und wir haben jeden Tag warmes Essen gehabt. Und …“
Weiter kam ich nicht, denn meine Mutter ging wie ein wildes Tier auf mich los. Sie zerkratzte mir das Gesicht und riss an meinen Haaren. „Du Missgeburt!“, schrie sie. „Du Missgeburt deines Vaters!“
Ich glaube, sie hat mir ein paar Haarbüschel vom Kopf gerissen. Dabei war ich auf mein dichtes und dunkles Haar so stolz. Ich spürte, wie sie mir die Augen auskratzen wollte. Also musste ich mich schützen. Ich rutschte bei dem Gerangel vom Sofa und versuchte in mein Zimmer zu robben. Da hielt sie mich am Hosenbein fest und zerriss meine neue Hose. Jetzt war das Loch einfach zu groß, um sie noch weiter zu tragen, dachte ich.
Meine Mutter trat so lange nach mir, bis ich mich unters Bett in die hinterste Ecke verkrochen hatte. Da kam sie nicht mehr hin.
Ich würde die Hose nähen müssen.
Als Brad heimkam, rief ich ihn. Zuerst suchte er mich, denn ich lag noch unter dem Bett. Hatte mich nicht getraut, rauszukommen.
„Was is' los?“, fragte er.
„Ist meine Mutter noch da?“, fragte ich.
„Was is' los, habe ich gefragt!“ Jetzt wurde er laut.
„Sie hat mir meine Haare ausgerissen“, sagte ich. „Und meine Augen fast ausgekratzt.“
Brad rannte in die Küche und schrie. Da saß meine Mutter wohl. Er schrie und schrie und schrie. Aber er schlug sie nicht.
Mit Monica war alles anders gewesen. Auch Brad.
Wie hatte mein Vater das nur mit dieser Frau ausgehalten? Warum brachte niemand meine Mutter endlich um?
Zwei Tage später kam eine Familienbetreuerin zu uns. Sie passte auf meine Mutter auf und kochte Essen. Sie putzte, nähte (auch meine neue Hose), sie ging einkaufen und räumte ständig auf. Aber sie redete nicht. Nicht ein Wort. Das war echt gruselig.
Meine Mutter saß nur auf dem Sofa und zählte ihre Pillen. Mein Gott!
Ich dachte, ich sollte Monica wieder holen und ging auf den Wohnwagenplatz. Monicas Wohnwagen war weg! Auch Steves!
Alle, die ich mochte, rannten weg. Was war nur los mit mir?
Mein Gesicht hatte zwei Narben von meiner Mutter zurückbehalten. Quer über die rechte Wange, direkt unter dem rechten Auge. Die rechte Seite war wohl nicht meine Seite. Sie war jetzt zu einem Kunstwerk der Gewalt geworden.
Meine Bilder bekamen auch auf der rechten Seite eine Schlagseite. Irgendwie sah sie immer anders aus als die linke. Es waren schon komische Gesichter, die ich malte.
Was mich jedoch sehr freute, war, dass meine Haare wieder nachwuchsen. Schön dicht und dunkel.
Leadville war leer ohne Monica und Steve. Ich begann meine Klassenkameraden zu beobachten. Hatten sie auch Narben im Gesicht? Ich konnte nichts entdecken.
Ich packte zu Hause eine kleine Tasche mit Pullis, meinen Bildermappen und meinen Geschichten. Ich malte ein Schild und stellte mich direkt vor das große Kaufhaus und wartete.
Auf dem Schild stand: ICH SUCHE NEUE ELTERN.
Irgendwann kam Brad und holte mich dort weg. Er ging zum ersten Mal mit mir alleine Cola trinken. Er sagte: „Es tut mir so leid.“
Ich fragte: „Was?“
„Dass du so leidest.“
Tat ich das? Oder litt er? Oder litt meine Mutter? Wir
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