Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
Arztes aber blieb bekümmert. Er sagte, er schicke mir noch einen Augenspezialisten vorbei.
Patricks Vater kam wieder. Er sah mich zum ersten Mal ohne Verband und blieb wie angewurzelt an der Tür stehen.
„Hallo“, sagte ich und quälte mir ein Lächeln ab.
„Du siehst aus wie dein Vater“, sagte er ganz leise.
Danach war er irgendwie anders. Verhalten, sagt Bob, heißt das.
Was hatte ich getan?
Patricks Vater blieb auf Abstand und sah mir immer wieder ins Gesicht.
Ich sagte wieder: „Hallo.“
Da mein Oberkörper noch verbunden war, konnte ich ihm nicht die Hand geben. Das wäre höflich gewesen.
„Du hast die gleichen Haare und die gleichen Augen.“
Ich nickte, denn ich wusste, dass er meinen Vater meinte. Ich war stolz, denn mein Vater war ein schöner Mann gewesen. Ich genoss die Bewunderung von ihm.
Patricks Vater sagte: „Ich habe deine Sachen gepackt. Einen Karton mit Bildern und Geschichten und einen Karton voll Kleidung und anderen Sachen.“
Ich war froh, dass er meine Kunstsachen in einen extra Karton gepackt hatte.
„Hattest du keinen Rekorder?“, fragte er.
Ich sah ihn erstaunt an.
„Musik“, sagte er. „CD oder Kassette.“
Ich schüttelte den Kopf und zwängte das Wort Pinsel durch mein steifes Gebiss.
Patricks Vater nickte. Klar, Kunstkenner verstehen sich.
„Ich habe deine Bilder gesehen“, sagte er.
Ich strahlte! Endlich! Und?
„Sie sind sehr außergewöhnlich“, sagte er.
Das fand ich auch!
„Die müsste sich mal ein Fachmann anschauen.“
Auch das fand ich richtig.
„Deine Geschichten konnte ich noch nicht lesen. Tut mir leid, aber ich hatte noch keine Zeit dazu.“
Ich zwinkerte verständnisvoll mit dem linken Auge. Das rechte war noch zugeklebt.
„Macht nichts“, zwängte ich durch das steife Gebiss.
„Ich werde es aber noch tun“, versprach er mir. „Warum ist in einem Karton so viel braunes Pulver?“, fragte er.
Ich lächelte. „Blut“, krächzte ich.
Ich sah, wie seine Augen groß wurden, und er fragte: „Blut?“
Ich nickte. War das nicht eine fantastische Idee?
Patricks Vater beendete danach sofort seinen Besuch.
Was hatte ich falsch gemacht?
Bob meinte, dass Jim, vielleicht darüber entsetzt gewesen war, dass ich mit Blut Geschichten geschrieben habe. Das wäre sehr außergewöhnlich. Das mag nicht jeder.
Am nächsten Tag kam er aber wieder. Er blieb weit weg von mir stehen. Am Anfang, als mein Gesicht noch verbunden war, saß er immer auf meinem Bett. Die Zeit war vorbei.
Er sah lange in mein Gesicht. Ich muss außergewöhnlich gut ausgesehen haben.
Am Nachmittag wollte der Augenspezialist kommen und mein Augenpflaster entfernen.
„Hallo“, sagte ich zu Patricks Vater.
Er nickte.
Ich wartete. Gab's nichts Neues?
„Deine Mutter wird heute eingeäschert“, sagte er.
Ich nickte. Ich weiß. Was einäschern auch immer war. Es war mir egal. Wenn er es in Ordnung fand, war es das auch.
„Nächste Woche ist die Beisetzung“, sagte er.
Ich nickte.
„Hast du dir überlegt, ob du nicht doch mit dabei sein willst?“
„Und du?“, fragte ich. Mein Gebiss funktionierte immer besser.
„Ich werde dabei sein“, sagte er.
„Okay“, sagte ich, „dann werde ich auch dabei sein.“
Wir schwiegen.
„Ich habe mir deine Geschichten mit dem … Blut angesehen.“
Ich sah ihn erwartungsvoll an.
Mehr sagte er nicht dazu.
Patricks Vater kam drei Tage lang nicht wieder. Er war wohl krank.
Ich langweilte mich fast zu Tode. Ich wollte malen, durfte es aber nicht. Ich wollte schreiben, durfte aber auch das nicht. Ich durfte fernsehen, wollte es aber nicht.
Als Patricks Vater wiederkam, hatte er einen Kassettenrekorder dabei. Für mich!
Er sagte, damit könne ich Musik hören.
Ich starrte das Ding an und wartete darauf, was ich zu hören bekam.
Er fragte: „Hast du niemals in der Schule so einen Rekorder gesehen?“
Ich wusste es nicht. „Kann sein“, sagte ich.
Ich habe ein Sexlexikon, dachte ich, sagte es aber nicht. Oder wusste er es schon? Er hatte doch meine Sachen eingepackt. Also sagte ich: „Ich habe ein Sexlexikon“, um zu prüfen, ob er es eingepackt hatte.
Er nickte. „Ich weiß.“
Ich war zufrieden.
Er stellte der Rekorder auf meine Nachttischablage und erklärte mir: „Du musst den Stecker in die Steckdose stecken.“ Er machte es vor. „Dann drückst du hier drauf“, und er zeigte mir einen Knopf. Kurze Zeit später erklang Musik. Er sagte, das sei Klaviermusik. Es klang wunderschön.
Wir hörten zusammen Klaviermusik. Den ganzen Nachmittag.
Am
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