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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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an.
„Umdrehen“, sagte er scharf.
Ich ging nach vorne ab wie eine Rakete, als er versuchte, mich ins Poloch zu fassen.
„Herkommen“, befahl er, als ich bis zur Wand gerannt war. Ich schüttelte den Kopf.
„Herkommen!“
Das klang einfach zu streng.
Mr. Mintz teilte mir nach der Untersuchung mit, dass ich nach dem Mittagessen erst zum Zahnarzt, dann zum Orthopäden müsse. Mein Rücken wäre nicht in Ordnung. Er würde mich mit seinem Wagen hinfahren.
Ich nickte, hatte Angst. Ich war noch nie bei solchen Ärzten gewesen. Musste ich mich da auch ausziehen?
„Hier ist die Hausordnung.“ Mr. Mintz reichte mir zwei Blätter voller Regeln.
„Die schreibst du bis Mittag dreimal ab. Wenn du zehn davon auswendig kannst, bekommst du Nachtisch. Wenn nicht, schreibst du sie noch dreimal ab. Und so weiter.“
Er reichte mir einen Packen Blätter und einen Filzstift. Ich fragte, ob ich mit meiner Tusche schreiben dürfte. Er nickte und nahm den Filzstift zurück.
Im Zimmer suchte ich meinen Tuschekasten und holte drei Federn heraus. Ich ritzte meinen linken Arm auf und ließ viel Blut auf den Schreibtisch tropfen. Das mischte ich dann mit roter Tinte und sog sie in die Schreibfeder ein.
Ich begann zu schreiben. Mr. Mintz hatte sicher noch nie so sauber abgeschriebene Regeln zu sehen bekommen. Ich lernte 25 Regeln auswendig und bekam zweimal Nachtisch.
Dann ging's zum Zahnarzt.
Ein Stuhl wie ein Fernsehsessel. Ich ließ mich erfreut darin versinken. Der Zahnarzt sah mir in den Mund. „Zwei Karieszähne“, sagte er. „Brauchst du eine Spritze?“
Was war los? Ich sagte mal ganz mutig: „Klar“, und bekam sie. Herr, wie ich mich verkrampfte! Ich sollte in Zukunft vorsichtiger mit meinem Mut sein.
Mein ganzer Mund schwoll an. Ich muss wie ein Affe aussehen, dachte ich. Das Spülwasser lief mir am Hals herunter. Meine Lippen schlossen nicht.
Scheiße, dachte ich, es wird mir nicht nur Hören und Sehen vergehen. Auch mit dem Sprechen wird es jetzt vorbei sein.
Weiter ging's zum Orthopäden.
Genau wie ich's erwartet hatte: „Ausziehen!“
„Ganz?“, fragte ich mit betäubten Lippen.
„Ganz.“
Was sollte es, ich tat es. Meinen frisch geritzten Arm hielt ich geschickt an mich gedrückt.
Der Orthopäde klopfte meinen Rücken ab und drückte und tastete bis zu den Pobacken runter.
„Misshandelt?“, fragte er Mr. Mintz.
„Ja“, antwortete er. „Mehrmals.“
„Könnte sich rauswachsen“, sagte der Orthopäde. „Kann man jetzt noch nichts machen.“
Ich durfte mich wieder anziehen. Gott sei Dank keine Spritze! Wie sollte ich auch mit einem tauben Arsch im Wagen sitzen?
Mr. Mintz schickte mich zur Bibliothek, wo ich Schulbücher, Hefte, Stifte und eine Schultasche bekam. Ganz schön schwer alles zusammen.
Ich sollte alles ins Zimmer bringen und sofort wieder zurück ins Büro kommen.
Die Taubheit in meinen Lippen ließ nach. Der Zahnarzt war gar nicht so übel.
Mr. Mintz stellte mir Mr. Koman, den Psychologen, vor. Endlich! Ich gab ihm höflich und hocherfreut die Hand.
Er sagte: „Ich habe gehört, dass du malst?“
Ich nickte eifrig.
„Das freut mich. Ich würde deine Bilder morgen gerne einmal sehen.“
Ich nickte wieder eifrig.
„Nach der Schule und den Hausaufgaben kommst du zu mir. Mein Büro ist auch hier unten im Gebäude. Zimmer Nummer fünf. Sagen wir um fünf?“
„Ja, Sir. Fünf um fünf, Sir“, sagte ich, erfreut wie ein Hund.
„Vergiss die Bilder nicht.“ Nein, das würde ich nie! Er verließ den Raum.
Mr. Mintz sagte: „Ich werde dir jetzt das ganze Gelände zeigen.“
Wir gingen wie zwei Geschäftsleute über das Gelände, und ich nickte zu all seinen Erklärungen. Da waren Klassenräume, Mensa, Toiletten, Küche, Wäschekammer, Büro von Mr. Mintz, Büro von Mr. Koman, Praxis von Dr. Sowieso, Freizeiträume, Bibliothek, Sporthalle, unsere Schlafräume, die Duschen und der Bunker.
Ich fragte, was denn der Bunker sei, denn er öffnete nicht die Tür. Er sagte, das würde ich erfahren, wenn es mal so weit wäre.
Ich war gespannt. Vielleicht ein Raum für eine Kunstausstellung.
Nach der Führung gab es Abendbrot. Es war köstlich. Also, über das Essen konnte ich wirklich nicht meckern.
Danach hatte ich frei. Das heißt, ich durfte mich bis zum Schlafen um zehn Uhr im Zimmer aufhalten. Ohne Trinken und ohne Musik. Man hatte mir den Rekorder weggenommen.
„Nicht auf dem Zimmer“, hatte man mir gesagt.
„Wo dann?“, fragte ich. Man gab mir keine Antwort.
So war's auch mit der Klaviermusik

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