Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
Aufzeichnungen umgehend haben, um selbst ein Konzept für den Jungen zu entwickeln. Ich fühlte mich vor all meinen Kollegen meiner Kompetenz beraubt und sagte, die Aufzeichnungen habe derzeit Jenny Keller, Chris' Lehrerin. Aber im Koffer von Chris seien neue Aufzeichnungen von dem Ausflug. Die sollten mal gelesen werden. Darin hätte Chris die ganze Geschichte sicherlich erklärt.
„Erklärt!“, schrie Pilbur. „Da ist nichts zu erklären!“
Ich sah meinen Kollegen an. Ist es nicht unsere Aufgabe, unsere Schützlinge zu verstehen, um ihnen zu helfen?
„Merken Sie denn nichts, Koman? Wie wollen Sie diesem Knaben helfen, wenn er aus seiner Sicht immer alles so erklärt, als habe er nie etwas Schlimmes getan?“
„Ihm erklären, dass es schlimm war“, konterte ich gereizt.
„Und wie oft wollen Sie das in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren tun?“
„Sooft es nötig ist. Ihm wurde nie etwas erklärt. Er hat keine Vorstellung von richtig und falsch und bastelt sich seine eigene Welt zusammen. Die unterscheidet sich eben von unserer.“
Mein Chef mischte sich ein: „Bob, glauben Sie wirklich allen Ernstes, dass der Knabe so begriffsstutzig ist?“
„Nein, aber er ist psychisch krank.“
„Bob, ist Ihnen mal in den Sinn gekommen, dass Chris immer alles so erklärt, dass es seine Dramaturgie verliert? Er mag psychisch sehr krank sein, aber nicht geistig.“
Nicht? „Dann sollten Sie mal seine Aufzeichnungen lesen“, sagte ich entschlossen.
„Das werde ich tun“, versicherte mir Dr. Brisco.
„Bob“, hörte ich eine Frauenstimme. Es war Jenny. Sie saß unter dem Pflegepersonal. Ich hatte sie nicht gesehen.
„Dr. Brisco meint etwas ganz anderes. Er meint, wenn das so weitergeht, wird Chris sehr bald die Grenze von schlimmen Taten zu kriminellen Taten überschreiten. Wann wird es soweit sein? Können wir das abschätzen?“
Über diese Variante hatte ich mir in der Tat noch keine Gedanken gemacht. Ich musste an Chris' Vater denken, der ein Psychopath war. Alles was er tat, hatte einen guten Anschein. Wollten mir meine Kollegen gerade klarmachen, dass Chris auf dieser Schiene fuhr? War auch in ihm der Drang vorhanden, Menschen gezielt zu quälen und Freude dabei zu verspüren?
Damit würde sich die Frage nach einer Medikation ergeben, die ich bisher für unangebracht hielt. Warum sollte diese unschuldige Seele mit Medikamenten verseucht werden?
Die Frage war: Wie unschuldig war diese Seele wirklich?
Mir brummte der Schädel. Hatte ich mir zu viel Mühe mit diesem Jungen gegeben? Lagen die Tatsachen längst auf der Hand, und ich sprang wie ein blindes Huhn drum herum?
Stundenlang machte ich mir Gedanken darüber, wie ich Chris am besten beschäftigen könnte. Chris war unersättlich. Unersättlich! Er trieb mich praktisch vor sich her und ... freute sich seines Lebens. Ich würde ihm nie beikommen können.
Dann kam mir plötzlich ein absurder Gedanke. Chris quält seine Mitmenschen in einer Form der Unschuld, die ihm höllisch Freude bereitet. Bis dahin waren seine Methoden noch irgendwie belustigend. Wann sollten sie wirklich ernst werden?
Heute, dachte ich. Heute wurde es ernst. Wie Jenny sagte, Chris steht auf der Grenze zur Kriminalität.
Mir brach der Schweiß aus, als ich in die Runde meiner Kollegen sah. Wie lange mochte Chris schon Berechnung unter dem Mantel der kindlichen Naivität verstecken?
Ich las in der folgenden Nacht seine Aufzeichnungen vom Camp unter völlig anderen Voraussetzungen. Konnte mich dem Gefühl nicht erwehren, nur noch kalte Berechnung in seinen Worten zu finden. Dadurch bekam der Text eine ganz andere Bedeutung, als die, die ich bei den letzten Aufzeichnungen in Erinnerung hatte.
Hallo Bob!
Vielen Dank für das tolle Buch! Ich liebe Bücher zum Reinschreiben!
Besonders, wenn ich Sachen für dich reinschreiben kann. Das macht vielleicht Spaß! Man, bin ich froh, dass ich dich habe!
Wir sitzen gerade im Bus und fahren an vielen großen Steinen vorbei. So etwas habe ich noch nie gesehen. Alles Steine, riesengroß. Manchmal liegen sogar zwei aufeinander, ohne dass der obere runterfällt.
Dr. Pilburg sagt, das sind Monumente. Wir sind schon in Utah. Eine riesige Wüste. Die haben uns in die Wüste geschickt ... ha ha ha!
Gehören solche Kinder wie wir in die Wüste? Ich glaube schon. Wenn ich mich hier so umsehe gibt es hier nichts. Also kann man auch nichts anstellen. Allerdings fehlen hier Essen und Trinken. Aber wenn es eine Mensa gäbe, könnten wir wieder etwas
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