Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
in der Tasche hatte. »Der Mehrverdienst reizte ihn weniger als die Minderarbeit.« Er war noch kein Puritaner, der sich fragte, wie viel er maximal am Tag verdienen kann. Er hatte noch nichts von Benjamin Franklin und der Maxime »Zeit ist Geld« gehört oder vom Gebot, auf Schlaf zu verzichten, um noch mehr zu verdienen. Nein, so Weber: »Der Mensch will ›von Natur‹ nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben, wie er zu leben gewohnt ist, und so viel erwerben, wie dazu erforderlich ist.« 28
Das ist bis heute so, weshalb die Arbeitsdisziplinierung auch ein ununterbrochener Prozess ist, in der die Regierung und die Unternehmen nie nachlassen dürfen: Arbeitsgesetze, Compliance-Regeln, intrinsische Motivation – all das hält uns auf Kurs. Der Verhaltensökonom Richard Thaler untersuchte, wie New Yorker Taxifahrer ihre Einkommen erzielen. 29 Das Geschäft schwankt in Abhängigkeit vom Wetter, von Ferien etc. von Tag zu Tag stark. Die neoklassische Ökonomie würde vorhersagen, dass die Taxifahrer an Regentagen, an denen sie viel verdienen, länger arbeiten als an Tagen, an denen nichts los ist. Tatsächlich aber arbeiteten die meisten Fahrer länger an Tagen mit wenigen Fahrgästen und kürzer an Tagen mit vielen Fahrgästen. Wie der Bauer im 19. Jahrhundert hatten sie schlicht ein gewisses Tagesziel für ihre Einnahmen und machten Feierabend, wenn sie es erreicht hatten. Andere fuhren, egal wie hoch der Verdienst war, immer dieselbe Stundenzahl. Die Motivation ist in beiden Fällen nicht Gewinnmaximierung, die Menschen ziehen Regelmäßigkeit, Ruhe und Nichtarbeit vor.
Um die Banker zur rastlosen Gier zu erziehen, wird deshalb heute schon in der Ausbildung der Ökonomen wert darauf gelegt, dass sie Profit als Höchstwert anerkennen. Das ist Prüfungswissen. Im Job gibt es dann Zielvereinbarungen und Boni, die das »von Natur aus« schwache Maximierungsverhalten ständig anstacheln. Wir sind nicht von Geburt an Puritaner, wir werden dazu ein Leben lang erzogen, und selbst wenn wir die Disziplin und die Selbstoptimierung internalisiert haben, fallen wir doch in Faulheit und Gewohnheiten zurück. Wenn wir heute schon in der Schule, nein, im Kindergarten beigebracht bekommen, dass wir schön strebsam sein müssen, um später unser Humankapital profitabel einzusetzen, es ständig durch Weiterbildung aufzuwerten und dort zur Arbeit anzutreten, wo der Markt es fordert, dann ist das ein kultureller Erziehungsprozess, dessen Grundlagen in der protestantischen Arbeitsethik liegen.
Wir sind Berufsmenschen durch und durch, und die Bedeutung des Berufs ist heute größer denn je, wie wir an dem wachsenden Wunsch der Erwerbstätigen gesehen haben, für ihre Arbeit Anerkennung zu bekommen. Für die Arbeitgeber ist das ein paradiesischer Zustand. Die Menschen kommen bereits hoch motiviert zu ihnen. BMW oder Google können als bei der Jugend angesagte Unternehmen aus dem Vollen schöpfen und müssen noch nicht einmal Höchstlöhne bezahlen. 30 Was treibt uns, Arbeit auch heute noch so sehr als Bedürfnis zu sehen?
Blick zurück: Von Pflichterfüllung und Sparen wollten die 68er nichts mehr wissen.
Vor vierzig Jahren alarmierte die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann die Wirtschaft: »Die Arbeitsmoral ist gesunken, in Deutschland sogar in einem unfassbaren Ausmaß.« 31 Auch Personalexperten konstatierten bei den Mitarbeitern »wachsende Wirtschaftsfeindlichkeit, abnehmende Leistungsbereitschaft, Abwertung des Berufs und allgemein eine zunehmende Arbeitsentfremdung«. 32 Der deutsche Fleiß war in Gefahr. Hatte es Daniel Bell, der amerikanische Soziologe, nicht genau so kommen sehen? Der Kapitalismus zerstöre sich durch seinen Erfolg selbst, hatte er prophezeit. 33 Denn die fleißigen Pflichtmenschen produzieren jede Menge Konsumgüter, und der Konsum lässt auch im Pflichtmenschen, Gott sei’s geklagt, den Wunsch aufkommen, zu genießen. Der asketische Geist der Arbeitsethik schien in den 1960er Jahren zu entweichen. Die Boheme und die aufkommende Gegenkultur provozierten mit Spontisprüchen: »Erst schwach anfangen und dann ganz stark nachlassen.« Noelle-Neumann verkündete bereits das Ende der Leistungsgesellschaft. Die Industriebosse machten sich ernsthaft Sorgen. Sollten langhaarige Hippies und die 68er, von denen sie als »Charaktermasken« beschimpft wurden, das System zu Fall bringen? Die traditionellen protestantischen Tugenden der Pflichterfüllung und des Sparens schienen auf
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