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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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Hippies, Konsum und Überfluss nicht nur halten, sondern sogar radikalisieren, wie der Stressreport belegt? Die Ursache liegt in einer Pointe der Geschichte: Ausgerechnet die Ideale der Alternativbewegung wie Unabhängigkeit, Kreativität und Spontaneität hielten in die Arbeitsethik Einzug und hauchten ihr einen neuen Geist ein. Eine aktuelle »Stellenanzeige« im Spiegel illustriert den Wandel ganz gut: Claus Peymann, der Intendant des Berliner Ensembles, sucht eine neue Assistentin und gelobt, die neue nicht mehr mit seinen Launen zu überziehen und bis 23 Uhr durchschuften zu lassen. Empörung gegen Peymann wegen Ausbeutung nach Gutsherrenart äußert der Artikel nicht. Der Künstler hat einen Sonderstatus, und wer für ihn arbeitet, gibt seinem Leben einen höheren Sinn, denn am Theater ist alles wahnsinnig sinnstiftend. Wer von Peymann drangsaliert wird, dient gleichsam der Kunst, und wenn Peymann jetzt altersmilde wird, ist das wirklich nett von ihm. So albern das im Grunde ist, es funktioniert. 36
    Wie wunderbar wäre es doch, wenn auch Unternehmen und nicht nur Theater von Künstler-Arbeitnehmern bevölkert würden, die in ihren Aufgaben sich selbst verwirklichen, die darin authentisch und ganz sie selbst sein wollen, ohne deren Kreativität nichts produziert würde und die keine festen Arbeitszeiten oder gar eine Aufsicht benötigen, um hart bis zur Selbstaufopferung zu arbeiten, damit enge Zeitpläne und (von wem auch immer gesetzte) knappe Budgets realisiert werden können.
    »Wir alle sind Künstler« – Beuys’ Slogan ist in der Unternehmenswelt angekommen. Aber anders als Beuys, der Romantiker, dachte. Die harte Arbeitswelt wurde nicht überwunden, wie jeder aus Erfahrung weiß. Es lief umgekehrt: »Der Aufstieg romantischer Ideale in der Arbeitswelt« bewirkte, so der Soziologe Carl Sasse, »eine Erneuerung der protestantischen Ethik.« 37
    Der Romantiker ist zwar auch schwermütig, und es kann keine Rede davon sein, dass er genießen will. Zudem steht er in Opposition zum bürgerlichen Gewinnstreben. Aber er ist ein noch größerer Individualist als der Berufsmensch. Er bezieht seine Aktivitäten noch mehr auf sich selbst. Bei Denkern wie Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau begegnen uns die romantischen Selbstentfaltungsideale sowie ein Streben nach Autonomie und Ganzheitlichkeit. Der Künstler arbeitet bis tief in die Nacht hinein, aber nicht für Geld, sondern höchstens für sich selbst. Heute würde man von intrinsischer Motivation sprechen. Ein Musiker spielt die Sonate um ihrer selbst willen. Weil das eine Herausforderung darstellt, ist das Leistungsmotiv besonders groß. Der alte Berufsmensch hatte zwar auch eine hohe Arbeitsbereitschaft, aber die Arbeitswelt war doch stark von Belohnungen und Bestrafungen bestimmt. 38 Luc Boltanski hat in einem umfangreichen Vergleich der Managementliteratur gezeigt, wie Bedürfnisse nach »Autonomie, Spontaneität, Mobilität, Disponibilität, Kreativität« in die Arbeitsverhältnisse einzogen, die »direkt der Ideenwelt der 68er entliehen sind« 39 . Zur Richtschnur der neuen Unternehmenskultur werden gegenkulturelle Werte wie Authentizität, und auch die Ungewissheiten der künstlerischen Existenz sind auf einmal chic und nachahmenswert. Die Aussteiger selbst waren schnell vergessen, aber ihre Rhetorik eines freien, selbstbestimmten und kreativen Arbeitens ist lebendig. Die Gegenkultur hat die alten Arbeitstugenden der Pflicht und Treue mit den Idealen der Autonomie, der Kreativität und Flexibilität kombiniert, die heute in keiner Jobbeschreibung eines Industrieunternehmens mehr fehlen dürfen.
    Ein intrinsisch motivierter Mitarbeiter ist ohne Murren bereit, Überstunden zu leisten, und identifiziert sich mit seinem Projekt. Er muss dafür nicht einmal besser bezahlt werden. Durch Geld kann seine Motivation sogar zerstört werden, weil dann das Gefühl der Selbstbestimmung unterminiert wird. Natürlich waren die Unternehmen begeistert, als sie das mitkriegten. Mit weniger Monotonie und humaneren Arbeitsbedingungen ließ sich die Produktivität sogar steigern. Empirisch zeigte sich, dass der Verfall der Arbeitsmoral schon in den 80er Jahren gestoppt worden war und die Arbeit kulturell an Bedeutung sogar gewonnen hatte. In Werbeagenturen, Redaktionen, Kunstgalerien, auf Filmsets und bei Internet-Start-ups sind die nonkonformistischen Kreativarbeiter diejenigen, die am meisten arbeiten, aber den geringsten Lohn und den schlechtesten

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