Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
sowie bei der Unternehmensethik in Bezug auf Betrug, Bestechung oder Kartellvorschriften an die Regeln seines Kunden hält und dafür sorgt, dass seine Lieferanten dasselbe tun. Jeder verpflichtet so jeden zur Einhaltung von Maximalstandards. Ein Großkonzern kommt leicht auf über 30 000 Lieferanten in 150 Ländern. Es ist unmöglich, das alles zu kontrollieren. Die Absicherung gegen Risiken ist Illusion. Würden die USA und Großbritannien, die sich hier international besonders hervortun, tatsächlich ihre moralischen Standards ernst nehmen, müssten sich ihre Konzerne etwa aus Arabien, Afrika und China komplett zurückziehen. Das tun sie natürlich nicht.
Man versteht Compliance nur, wenn man die Kulturform der puritanischen Heuchelei kennt. Für jedes Moralsystem gilt: Je höher die Latte hängt, desto größer die Heuchelei und desto trickreicher die Umgehungsstrategien. Bei der Umgehung sind die Angelsachsen besonders geschickt. Enron, die durch Bilanzbetrug, und BP , die durch eine Ökokatastrophe auffällig wurden, zählten davor zu den Favoriten in so manchem »Best in Class«-Rating, was zeigt, dass die Moralratings ein ähnliches Glaubwürdigkeitsproblem haben wie die Ratingagenturen, die Staatsanleihen bewerten. Die Heuchelei folgt den Moralgesetzen auf dem Fuße: So reicht es beim britischen »Bribery Act«, wenn die Firmen ihre Unterschriften unter die Compliance-Erklärungen setzen. Dabei werden die Reglements so formuliert, dass das Offensichtliche, etwa die Verletzung von Menschenrechten in Saudi-Arabien, unter den Tisch fällt und sich die Unternehmen auf Einzelfälle der Missachtung von Compliance-Regeln beziehen können, die aber so gut wie nie entdeckt werden. Man muss sich da schon sehr ungeschickt anstellen: Ikea geriet 2012 in die Kritik, weil im Katalog für Saudi-Arabien die weiblichen Werbemodels wegretuschiert waren. Ikea hatte sich zu viel an die wahabitische Frauendiskriminierung angepasst.
Regeln sind dazu da, dass die anderen sie halten.
Wie schlecht war doch die Welt, bevor die Compliance eingeführt wurde! Manche ihrer Vorkämpfer glauben tatsächlich, dass sie die Welt verbessern. Die Realität bestätigt das nicht: Was haben all diese Reglementierungen etwa dazu beigetragen, die Finanzkrise zu verhindern? Ein Großteil der Manager durchlief seine Ausbildung in renommierten Business-Schulen, die das Komplettpaket an Compliance, 360-Grad-Feedback, Corporate Social Responsibility e tutti quanti enthielten. Generationen von Managern wurden so ausgebildet, aber es blieb weitgehend wirkungslos. Wo waren die hehren Grundsätze gegen Betrug, als die Ratingagenturen die wertlosen Immobilienkreditverbriefungen durchgängig als ausgezeichnet bewerteten? Wo war die Moral der Wirtschaftsprüfer, die die Skandalbanken jahrelang geprüft und keine Risiken gefunden hatten?
Wäre es nicht besser, diese Firmen kümmerten sich zuallererst um ihr Kerngeschäft, statt ihren Mitarbeitern zu verbieten, zu Weihnachten eine Flasche Wein anzunehmen? Wäre es nicht besser, sie würden den Rendite- und Effizienzdruck vermindern? Dann müssten die Mitarbeiter ihren Kunden keine unpassenden Produkte aufschwätzen oder Aufträge um jeden Preis reinholen. Am Ende siegt doch der Profit. Im Dow Jones Sustainability Index zählt der Leistungsbonus sogar als moralischer Pluspunkt. Firmen, die ihre Mitarbeiter nicht mit Bonussystemen in die Verkaufsschlacht schicken, stuft der Index herab, obwohl die hybride Bonuskultur der US -Banken die Finanzblase 2008 erzeugt hatte. 19
Natürlich wissen erfolgreiche Firmengründer wie Bill Gates, Steve Jobs, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg oder Sergey Brin, dass sie nicht einen Bruchteil ihres Milliardenvermögens gemacht hätten, wenn sie sich in ihrem Leben auch nur einen Tag an die Inhalte des 360-Grad-Feedbacks oder/und an Compliance-Regeln gehalten hätten. Ein Facebook-Gründer, der seine Kommilitonen nicht hintergangen hätte; ein Amazon- CEO , zu dessen Geschäftsmodell nicht die Unterbezahlung der Mitarbeiter gehört; ein Microsoft-Präsident, der seine Kunden nicht mit Monopolpreisen ausgenommen hätte; ein Apple-Gründer, der seine chinesischen Mitarbeiter nicht ausgebeutet hätte; ein Google-Chef, der die Copyrights nicht missachtet hätte – ohne die unzähligen Verstöße, von denen die Zeitungen andauernd berichten, gäbe es diese Unternehmen schlicht nicht oder sie wären nie so erfolgreich geworden. Regeln sind dazu da, dass die anderen sie halten.
Wie kommt es
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