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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wagner
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anderen weniger. 22
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    Und wenn ich nun selbst ein Android oder ein Replikant bin, wie die Automaten im
Bladerunner
heißen? Einer, der nicht weiß, daß er einer ist? Wäre ich aber als hochentwickelte Maschine nicht darauf programmiert, Angst vor anderen Maschinen zu haben? Ist es nicht so, daß nur der Android, der wie ein Mensch Angst vor Androiden hat, ein guter Android ist? Könnte dieser Nachmittag also der Nachmittag eines Einkaufsroboters sein, ist auch meine Sentimentalität bloß programmiert? Lieber stelle ich mir vor, hier schwebten Engel durch die Gänge, Seelenkörbe vor sich her schiebend, bewegten sich auf ein gleißendes Licht zu, versunken und gleichzeitig verzückt. Auch ich könnte einer von ihnen sein, keine Ahnung, wann ich gestorben bin oder ob überhaupt, ich erinnere mich nicht, hier gibt es keine Vergangenheit, und die Zukunft reicht nur bis – zum Mindesthaltbarkeitsdatum, ein Gedanke, den ich L. verdanke, ja es kommt mir so vor, als hätte
sie
das gerade gesagt, um mich aus meiner Schwärmerei zu holen, mach deine Einkäufe, sie hat ja immer so getan, als stünde sie mit beiden Beinen auf dem Boden.
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    Ich höre die Frau an der Fleisch- und Wursttheke Koteletts hacken oder Schnitzel klopfen, aber, weiß ich doch, da war ich ja bereits. Die Aufschnittüte, in der die rosafarbenen Päckchen schimmern, liegt im Einkaufswagen vor mir, daneben sehe ich die losen, tanzenden Zitronen, die Milch, den Honig und die vier Äpfel. Die Fleischfachverkäuferin hackt, ich kann das nun beobachten, mit einem kleinen Edelstahlbeil auf einen hölzernen, von Metallbändern umschlossenenHackblock ein, sie zerteilt ein Stück Fleisch, in dem Knochen stecken. Während ich weiter gebannt in ihre Richtung starre, finde ich, meine Hände wühlen sich durch die Taschen meines Mantels, einen Zettel, halte ihn mir vor die Augen und versuche zu lesen, was da steht – kann aber meine eigene Schrift nicht entziffern. Immerhin erkenne ich, daß es sich nicht um meinen Einkaufszettel handelt, es ist irgendeine andere Liste auf einem weißen Stück Papier.
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    Ich rolle weiter, als wäre ich, ohne davon zu wissen, auf Schienen unterwegs, als bliebe mir gar nichts anderes übrig, als so und nicht anders durch den Supermarkt zu ziehen. Der Einkaufswagen hat mich sicher längst durchschaut, kennt dank eines hochempfindlichen Sensors in der Schiebestange nicht nur meine Fingerabdrücke, sondern hat mittels Handschweißanalyse auch meinen emotionalen Zustand bestimmt, weiß somit wahrscheinlich, ganz im Gegensatz zu mir, was ich wünsche oder brauche oder darüber hinaus in meinen Einkaufswagen legen würde, käme ich nur daran vorbei. Ich vermute, die Gänge sind mit einem unmerklichen, knapp unterhalb der Wahrnehmungsgrenze liegenden Gefälle angelegt worden, das mich ganz langsam, wie ein Floß auf einem mäandernden Fluß, Richtung Kasse gleiten läßt, der Wagen schwimmt vor mir her, und ich treibe an den Spielsachen vorbei, an Bauklötzen und Stofftieren und Puppenköpfen, die sich schminken und frisieren lassen, an Barbie-Pferden, deren Ohren und Schweif bei Berührung aufleuchten, und Baggern mit aufgemalten Gesichtern. Und ich sehe Merchandisingprodukte von Zeichentrickfilmen, die ich, falls es sich nicht um urvertraute, allseits bekannte Comicfiguren handelt, nur aus diesem Supermarktregal kenne.
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    Während des Einkaufens entwickelte L. gern Theorien, ich erinnere mich beispielsweise an ihre Bärentheorie, auf die sie vor einem Schaufenster voller Stofftiere kam, weil sie fand, daß Teddybären neuerdings immer älter, dünner und schmalschnauziger wirkten. Teddybären, sagte sie, sähen mittlerweile fast so aus, wie sie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ausgesehen hätten, mit hängenden Mundwinkeln und kränklichem Gesichtsausdruck, so wie die, die in Spielfilmen zum Thema Kinderlandverschickung von kleinen, dünnbeinigen Mädchen in karierten Baumwollkleidern herumgetragen würden. In ihrer Kindheit in den siebziger Jahren, sagte L., seien Teddybären viel dicker und vollmondgesichtiger gewesen, hätten kurze, dicke, runde Schnauzen gehabt und ein breites Dauergrinsen über ihren hervorstehenden Bäuchen zur Schau getragen. Naturalistische Darstellung, das fällt mir dazu ein, ist heute nur bei Eisbären gefragt. 23
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    Ich strande gleich hinter dem Spielzeug, der Fluß wirft mich ans Ufer vor das Regal, in dem die Filme stehen. Es gibt die üblichen Blockbuster, nur Komödien, Kinder- und

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