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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wagner
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vielleicht auch die eine Person, ich schaute allen in die Augen, die diesen, meinen Apfel, dessen Stiel ich noch in der Hand hielt, ich drehte ihn zwischen den Fingerkuppen meines linken Daumens und Zeigefingers hin und her, anderthalb Wochen zuvor geerntet hatte.
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    Ein kleines Stück den Gang hinunter sehe ich eine Frau, die sich über einen Wühltisch beugt, in dem preisreduzierte Kalender liegen. Als ich näher komme, erkenne ich, daß sie einen der kleinformatigen Kalender mit Tiermotiven in der Hand hat, Wölfe sind auf das Deckblatt gedruckt. Ich stelle mir vor, wie sie diesen Kalender in der Küche oder im Flur ihrer Wohnung aufhängt, vielleicht wird sie ihn über der Basisstation ihres schnurlosen Telephons befestigen, und ich denke: Wölfe werden dich ansehen, das ganze Jahr. Da, wo sie wohnt, streifen nachts sicher keine Wölfe ums Haus, vielleicht gefallen ihr Wölfe gerade deshalb, vielleicht sammelt sie alles, was mit Wölfen zu tun hat, weil sie als Rotkäppchen nie ihrem Wolf begegnet ist, aber das ist wahrscheinlich Unsinn. Mir fällt ein, daß ich einmal eine Frau kannte, die Kochsalz sammelte; eigentlich sammelte sie nicht das Salz, sondern die Verpackungen, in denen sich oft aber noch Salz befand. Sie hatte nicht nur sehr viele verschiedene französisch beschriftete Meersalzstreudosen, sie besaß auch schlichte, in- und ausländische Kartonverpackungen, die oft nur mit dem Wort
Salz
oder
sel
oder
sal
bedruckt waren. Einmal bin ich in ihrer großen Küche gewesen, in der ihre belgischen, portugiesischen, spanischen, italienischen, schwedischen, mexikanischen, südafrikanischen, finnischen und übrigen Speisesalzpackungen standen. Salz mache alles haltbar, erzählte sie mir, in Salzbergwerken würden die Leiber verschütteter Bergleute über Jahrtausende hinweg konserviert. Sammelt sie, fragte ich mich damals, etwa deshalb Salz? Sie besaß, darauf war sie besonders stolz, auch historische Salzpackungen aus der Tschechoslowakei und der DDR.
    66
    Die Frau mit dem Wolfskalender ist Richtung Kasse davongegangen, eine andere, die mit den Turnschuhen zum Rock, die ich vorhin, im Marmeladengang, einen Augenblick lang für L. gehalten habe, sehe ich nun vor den Waschmitteln. Ich beobachte, wie sie einen dieser kleinen Kartons in ihren Wagen stellt, in denen sich im Doppelpack eingeschweißte Waschmitteltabletten befinden, die Werbung nennt sie Tabs, es handelt sich aber bloß um zu Portionseinheiten gepreßte Waschpulverklumpen, die an sehr große Vitamintabletten erinnern. Sie geht weiter, und ich schiebe mich vor bis zu der Stelle, an der sie eben noch gestanden hat. Für einen Augenblick fühlt es sich an, als wäre die Luft, von der sie eben noch umgeben war, noch gar nicht vollständig zurückgeströmt, ja es kommt mir vor, als gäbe es, aber das kann doch gar nicht sein, einen luftleeren Raum als Abdruck von ihr, genau da, wo sie gewesen ist. Um mich abzulenken, zähle ich die Fein-, Woll- und Vollwaschmittel sowie die Weichspüler im Regal, da erst fällt mir auf, daß ich noch immer das Waschpulver kaufe, das L. gekauft hat. Sollte ich mir nicht endlich mal ein anderes kaufen, ja denke ich womöglich deshalb so oft an sie, weil meine Bettwäsche und die Handtücher, meine Unterhemden, Socken und Unterhosen, meine gesamten Kleidungsstücke nach ihr riechen? Wäre ich mit der anderen Frau zusammen, mit der, die hier eben noch gestanden hat, röche unser Bett nach dem Tantenwaschmittel, das sie sich gerade – selbst in seiner modernen Darreichungsform bleibt es ein Tantenwaschmittel, das ich niemals, nicht im Traum, in die Waschpulverschublade meiner Waschmaschine füllen könnte – in ihren Einkaufswagen gelegt hat. Die rein fiktiven Umarmungen mit ihr bekommen nun gleich etwas Tantenhaftes, obwohlsie ja gar nicht so wirkt, ganz im Gegenteil, sie hatte etwas, was mir gefällt und mich an L. erinnert. Hat sich halt für das falsche Waschmittel entschieden, weshalb das mit uns nichts werden könnte – höre ich mich denken und denke, was für ein Quatsch. Ich habe noch immer Liebeskummer, wie ich ihn nicht mehr für möglich gehalten habe, nicht bei mir, Liebeskummer, der mich müde macht und heimtückisch immer dann überkommt, wenn ich L. fast vergessen habe. Ich hatte gedacht, ich wäre darüber hinweg, ich hatte gedacht, ich müßte nicht mehr immerzu an sie denken, schließlich laufe ich ihr gar nicht mehr hinterher, schreibe ihr schon lange keine Briefe mehr, rufe sie nicht mehr an und

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