Vier Äpfel
Getreide, mit dem mehr als nur ein paar Menschen auf der Erde hätten satt werden können? Und wer erhält wieviel Geld für ein Produkt? Ist es fair gehandelt worden? Hat man nachwachsende Rohstoffe verwendet? Ist das Produkt recycelbar? Wurde es kohlendioxidneutral produziert? 20 Ist es chlorgebleicht? Genverändert? Unter Verwendung von Tropenholz hergestellt? Sollte ich es besser doch nicht kaufen? Könnte ich nicht darauf verzichten? Muß ich überhaupt etwas kaufen? Umweltbewußtsein ist mir eingehämmert worden, und ich weiß, das richtige Leben wäre eines mit viel weniger oder, noch besser, gar keinem Müll. Umweltbewußtsein ist, wie L. gesagt hat, unsere neue Religion, eine, auf die fast alle, auch die unterschiedlichsten Menschen, sich leicht einigen können. Es ist ja so einfach: Rücksichtslose Umweltzerstörung ist böse, Schutzmaßnahmen für Vögel und Schmetterlinge, Kröten und Wale und Thunfische sind gut, Tier- und Umweltschutz verspricht uns Zukunft. Hier aber, im Supermarkt, gerate ich immer wieder mit der Ethik dieses Umweltbewußtseins in Konflikt. Eigentlich ist es nicht anders als im Autohaus. Kosmetische Korrekturen wie ein Weniger an Verpackung und ein Verzicht auf Kunstdünger helfen so wenig wie Autos, die zwar kein Benzin mehr verbrauchen, aber deren elektrischer Antrieb nicht mehr als eine Verlagerung des Problems darstellt. Indem ich kaufe, mache ich mich schuldig, dagegen hilft auch der Gang in den Bioladen oder der Griff zu fair gehandelten Produkten nur bedingt. In einem Bioladen kaufe ich mich von meinem schlechten Gewissen frei, ändere aber nichts am grundsätzlichen Mißstand – ein Umwelt-Ablaßhandel, von dem ich sogar noch profitiere, weil die teureren Bioprodukte ja meist viel besser schmecken. Die Lebensmittelindustrie, ohne die es nicht geht, gibt es weiterhin.
50
Überfordert, beinah hilflos stehe ich vor den Nudeln und weiß nicht, welche Sorte ich nehmen soll. Unterscheiden sich verschieden geformte Nudeln, obwohl allesamt aus Hartweizengrieß, tatsächlich im Geschmack, oder bilde ich mir das bloß ein? L. sagte einmal, verschiedene Nudelformen saugten die Nudelsoße verschieden auf, daher der Unterschied. Lidl in Torino ist ein Erlebnis, höre ich plötzlich eine Frauenstimme hinter mir sagen, Lidl in Torino ist echt ein Erlebnis, im Lidl in Torino gibt es über zwanzig Sorten Pecorino! Erst da merke ich, daß die Frau, die da spricht, nicht mich meint, sondern telephoniert. Sie hat das gar nicht zu mir gesagt, schade, denke ich und schaue wieder auf die Nudeln. Zwanzig Sorten Pecorino – und woher weiß man dann, welchen man nehmen soll? Ich weiß nicht einmal, welche Pasta zu mir paßt, es gibt ungefähr vierzig verschiedene Sorten. Ich könnte die wählen, die ich immer nehme und schon zusammen mit L. gegessen habe, ganz dünne Spaghetti, Spaghettini, die haben den Vorteil, daß sie nicht lange kochen müssen. Dazu gab es oft L.s Bolognese, das Hackfleisch lange anbraten und die Soße, darauf kommt es an, noch länger kochen, mindestens zwei, besser drei oder vier Stunden, schön blubbern lassen, so entsteht erst der Geschmack. Irgendwann aber muß ich mich doch emanzipieren, denke ich, ich sollte endlich eine andere Nudelsorte kaufen, also greife ich nach einer blau-gelben Packung, die mir gefällt und, ich weiß nicht, ob ich träume, von innen zu leuchten scheint. Ich werde die Nudeln nur mit Butter, Salz und Parmesan essen und dabei versuchen, nicht ein einziges Mal an L. zu denken. Ich werde es auf jeden Fall versuchen.
51
Wer oder was bestimmt über mich? Ich glaube, ich bin eine Biene, die durch den Supermarktgarten fliegt, die Verpackungen sind meine Blüten, Form und Farben, Schrift und Geruch verführen mich. Geruch? Aber ich rieche doch gar nichts, ist ja alles verpackt. Ich bin dressiert darauf, auf Formen, Farben und Schriften zu reagieren, bin vielleicht kein perfekter, alles in allem jedoch ein zuverlässiger Konsument, denn ich kaufe die Marken, die ich kenne und schätze und schon immer kaufe, und bin mit ihnen glücklicher als mit den Produkten ohne Namen, meine Marken sind noch bei mir, L. ist es nicht.
52
L. hat mir einmal gestanden, sie habe sehr lange, fast bis gegen Ende ihres Studiums, nicht einen einzigen ihrer vielen Lippen- und Kajalstifte bezahlt, viel zu teuer, das habe sie nicht eingesehen. So kleine Sachen zu klauen sei nicht schwierig gewesen, damals habe es ja auch noch nicht auf jedem Produkt ein Sicherheitsetikett und an
Weitere Kostenlose Bücher