Vier Äpfel
in einem Einmachglas versiegelt, wie die Staatssicherheit der DDR das wohl getan hat, ganz systematisch, nur für den Fall, daß sie jemanden von Spürhunden verfolgen lassen wollte. Die Keller mit Tausenden von Weckgläsern eingemachter Unterhemden und sonstiger Dinge, denen persönliche Gerüche anhafteten, müssen ein unheimliches Bild abgegeben haben.
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Auf einem Sonderpostentisch mitten im Gang sehe ich eine auffällig geformte, von unten her breiter werdende, sich nach oben hin jedoch wieder verjüngende Flasche mit einer großen, weißgeriffelten Verschlußkappe. Ich kenne diese Fruchtsirupflasche, deren Kappe als Dosierhilfe und Meßbecher dienen soll, ich habe sie bloß fünfundzwanzig Jahre, vielleicht auch länger, nicht mehr gesehen. Ich stehe vor einem Zombie, einer untoten Marke, die nun zurück ins Sortiment möchte, als wäre sie nie weggewesen, ich aber falle auf diese Anbiederung nicht herein. Ich erinnere mich, daß die Verschlußkappe mit ihrer Mikrokannelierung, deren Rillen ich mit dem Daumennagel gern entlanggefahren bin, meist schon nach der ersten Benutzung innen, wo das Gewinde sitzt, und am unteren Rand verklebt war. Merkwürdig, ich erinnere mich an die Klebrigkeit dieses Sirups, nicht aber daran, wie das Getränk, zu dem er sich mit Wasser strecken ließ, schmeckte, Kappe und Flaschenhals waren jedenfalls genauso verschmiert wie die je nach Hersteller hellblau- oder rosafarbenen Weichspülerflaschen, die ganz ähnliche, ebenfalls als Meßbecher zu benutzendeKappen hatten und noch immer haben. In unserer Waschküche im Keller – Handtücher, Waschlappen, Bademäntel und Frottee-Spannbettücher wurden weichgespült – stand immer einer dieser Plastikbehälter mit dem seitlichen Loch, das es so leicht machte, ihn zu halten, zu kippen und zu tragen. Ich mochte diese Flaschen, die nicht verrotteten, an Flußufern und Uferböschungen lagen sie wie Farbtupfer in der Landschaft, und in der Werbung fielen sie, ich sehe sie noch fallen, auf einen Stapel weichgespülter Handtücher und versanken darin, bevor sie als Teddybären wiederauftauchten. Was für schöne Erinnerungen ich doch habe! Ich erinnere mich an Weichspülerwerbefilme, habe selbst aber noch nie in meinem Leben Weichspüler gekauft, auch L. hat nie Weichspüler gekauft und nie auch nur daran gedacht, Wäsche weichzuspülen, ganz im Gegenteil, sie liebte hartgewaschene Handtücher, ihr gefiel es, wenn es beim Abtrocknen kratzte, sie meinte, das sei gut für die Haut, außerdem sei Weichspülergeruch, ob mir das noch nie aufgefallen sei, ein Sozialindikator, ab einem bestimmten Bildungsniveau sei Weichspüler verpönt, und in den besten Kreisen der Umweltavantgarde werde überhaupt kein Waschmittel mehr verwendet, sondern mit angeblich nachhaltigen, aus Indien importierten Waschnüssen gewaschen, die, selbst mehrfach benutzt, so gut wie jedes Waschmittel reinigen sollen. Allerdings habe die gestiegene Nachfrage westlicher Umweltsnobs diese Waschnüsse in Indien schon derart verteuert, daß die dortige Landbevölkerung, so hat L. mir das erklärt, inzwischen auf ganz gewöhnliche, am Ende nicht einmal phosphatfreie Waschmittel umgestiegen sei.
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Vor einiger Zeit habe ich hier einen elektrischen Eis-Crusher gesehen und mich sofort, reflexhaft, gefragt, ob sich mein Leben durch den Kauf eines solchen Gerätes nicht völlig ändern müßte. Bis kurz davor hatte ich zwar nicht gewußt, daß mir ein Eis-Crusher fehlte, schon aber sah ich L. und mich mit Mojitos in der Hand auf dem Deck einer Yacht, sah uns unter Palmen, sah uns auf einer riesigen Dachterrasse und auch an einem Strand, der neue Eis-Crusher wie ein Talisman des schönen Lebens immer mit auf dem Bild. Auf dem Supermarkttisch stand der Zuckerrohrschnaps gleich daneben, ich hatte Lust, mich auf der Stelle zu betrinken. L. stand an so einem Sonderpostentisch einmal vor einem Stapel Waschmaschinenabdeckhauben und erklärte mir, eine Abdeckhaube sei dazu da, seiner Waschmaschine einen Gefallen zu tun, damit ihr in den langen Pausen zwischen den Waschgängen nicht kalt werde. Normalerweise, sagte sie, habe eine Waschmaschine es bei dreißig, sechzig oder fünfundneunzig Grad ja warm, dazwischen aber könne sie frieren, sich sogar erkälten, wenn sie keine Frotteehaube trage. Eine Waschmaschinenhaube habe auch den positiven Nebeneffekt, daß man die Weichspülerflasche oder die Kontaktlinsenflüssigkeit ganz beruhigt auf der Arbeitsfläche stehen lassen könne, auf dem
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