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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wagner
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nötig sind.

101
    Mein Haarwaschmittel, das Shampoo, das ich zur Zeit verwende, finde ich unter den hundertneunundachtzig verschiedenen Pflegeprodukten nicht. Wahrscheinlich wurde die Flasche, an deren Aussehen ich mich gerade erst gewöhnt hatte, schon wieder neugestaltet, und ich erkenne sie nicht mehr. Aus der Pflegelinie, die ich davor verwendet habe,verschwand eines Tages das Shampoo für normales Haar. Erst dachte ich, es wäre nur nicht da, aber als ich die Woche darauf und später noch einmal und dann auch in anderen Drogeriemärkten danach suchte, fehlte es immer. Es gab das Shampoo für normales Haar nicht mehr. Ich hätte mich für eine der Spezifikationen entscheiden müssen, von denen mir aber keine zusagte. Mein Haar braucht weder mehr Volumen noch einen Schutz vor Schuppen, und ich möchte auch kein Shampoo, auf dem ich lesen muß, daß ich sprödes, dünnes oder schnell fettendes Haar habe. Ich will ein Haarwaschmittel für normales Haar. Anstelle von meinem fällt mir immerzu das Shampoo ins Auge, das L. benutzt hat, eine Flasche davon steht noch im Bad auf dem Badewannenrand. Wenn ich in der Wanne liege, sehe ich es, ihr Shampon, und rieche sie, ich sehe ihr Gesicht vor mir und ihr nasses, eben gewaschenes Haar und wie sie es mit einem groben Kamm durchkämmt und später fönt, ich sehe sie nun auch hier, vor dem Regal, ich erinnere mich in Clips, die gar nicht selbstgedreht, sondern professionell produziert sind, ich rieche ihr Haar, das immer nach diesem Shampoo gerochen hat, rieche ihr Haar, obwohl sie gar nicht da ist.
    102
    L. hat mir oft vorgeworfen, ich könne mich nicht entscheiden – nicht zu Unrecht wahrscheinlich, weil ich ja, so kommt es mir jedenfalls vor, schon immer wußte, daß jede Entscheidung zugleich eine Absage an hundert oder tausend andere Möglichkeiten ist, weshalb ich mich am liebsten gar nicht entschied und Entscheidungen auch heute noch so lange wie möglich aufschiebe. L. war sich darum, obwohlich es oft genug beteuerte, nie ganz sicher, ob ich mich überhaupt ganz und gar für sie entschieden hatte. Auf mich wirkte das, als suchte sie die Zweifel, die sie selber hatte, bei mir. In allem sah sie ein Zögern und Zaudern, du weißt ja gar nicht, ob du wirklich willst, du hättest auch eine andere treffen können, mit der du nun zusammen wärst, du liebst mich eigentlich gar nicht. Ich habe dann gesagt, tja, aber jetzt sind
wir
zusammen, und vielleicht soll gerade das so sein, doch mein Vielleicht, das große Vielleicht, das sich in fast jeden Satz, den ich zu ihr sagte, schlich und das in diesem, der doch eine Beteuerung meiner Liebe sein sollte, nicht einmal versteckt war, ließ gerade diese Beteuerung fadenscheinig, ja wertlos werden.
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    Als Kind marschierte ich aus Spielwarenläden oft wieder hinaus, ohne etwas gekauft zu haben, weil ich mich nicht durchringen konnte, mein Taschengeld gegen das eine Spielzeugauto oder die eine Spielzeugpistole zu tauschen. Offenbar habe ich viele Möglichkeiten schon immer für kostbarer gehalten als ein bestimmtes Objekt. L. lag also richtig, sowohl sie als auch ich hätten auch eine andere Person treffen und mit ihr glücklich oder unglücklich sein können. Damals als Kind, wenn ich mich endlich für ein bestimmtes Spielzeug entschieden hatte, regte sich in mir schon bald die Frage, ob ich mit dem anderen Spielzeug, auf das ich zugunsten des favorisierten verzichtet hatte, nicht viel besser spielen würde. Nach dem Kauf kam der Zweifel, auf die kurze Freude folgte anhaltende Reue, denn mit meiner Entscheidung hatte ich mich um alle möglichen Alternativen gebracht. Kaufen heißt also eigentlich verzichten– beispielsweise auf all die Pullover, die ich beim Kauf desjenigen, den ich heute trage, ebenfalls hätte kaufen können. Als ich ihn in dem Geschäft, in dem ich ihn mir ausgesucht hatte, bezahlte, habe ich alle anderen Möglichkeiten gegen diesen einen dunkelblauen Pullover eingetauscht, dabei hätte ich, ich erinnere mich, gern auch den dunkelbraunen genommen. Ich mußte eine Entscheidung treffen, eine, die L. mir oft abgenommen hat, denn sie wußte, was mir steht und was nicht. Die, wenn ich sie mir denn leisten könnte oder wollte, naheliegende Lösung, beide Pullover zu kaufen, wäre damals, in dem Bekleidungsgeschäft, wie auch sonst, wenn ich mich nicht entscheiden konnte, nur eine Scheinlösung gewesen. Der Kauf beider Pullover hätte das Pulloverproblem ja nicht gelöst, sondern bloß verlagert und perpetuiert,

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