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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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versuchte, den Albtraum abzuschütteln, von dem er schon
nicht mehr wusste, was darin passiert war, nur noch, dass er grauenhafte Angst
gehabt hatte.
    Er schaltete den Fernseher ein und überlegte, ob er sich den
Pornofilm geben sollte, aber zwanzig Euro oder was die dafür wollen würden, war
einfach zu viel Geld für das bisschen geheuchelte Gereibe, Gelutsche, Gehampel
und Gestöhn, dem man nur mit Selbstverachtung zuschauen konnte.
Selbstverachtung war in seinem jetzigen Zustand eigentlich keine Gefahr mehr,
die ihm drohte – das wäre erst morgen dran, aber die Talkshow, die er erwischt
hatte, war schon viel zu bewegt, ihm wurde schlecht vom Hinsehen. Er schaltete
aus. Und trank den letzten Schluck aus der Bierflasche. Und kippte wieder ins
Bett. Egal. Alles egal. Sowieso.

Kapitel 2
    MICHAEL hatte den Mietwagen abgegeben
und sich beeilen müssen, war dann in der viel zu langsamen Security-Schlange
fast verzweifelt, weil sein Flug immer wieder aufgerufen wurde, hatte aber
trotzdem nicht versucht, sich vorzudrängeln, sondern das Gottesurteil einfach
akzeptiert. Am Gate war er der Letzte, als er außer Atem angerannt kam. Später
am Abend gab es keine Direktflüge mehr, und er wollte nicht umständlich über
Amsterdam, Frankfurt oder Rom nach Hause trödeln. Der turbulente Landeanflug
heute Morgen hatte ihm zwar das Fliegen fürs Erste wieder verleidet, aber der
Fünf-Uhr-Flug war gebucht, und er würde jetzt nicht dasselbe Geld noch mal für
den Nachtzug hinlegen, sondern tapfer über die Alpengletscher brummen und das
Gefühl haben, es könne auch schiefgehen.
    Zwei Reihen vor ihm saß der Schauspieler Ulrich Tukur. Die Kabine
war fast voll, aber Michael hatte den Sitz am Notausgang genommen, den die
meisten Leute mieden, deshalb war auch diesmal der Platz neben ihm frei.
    Unter sich sah er Dörfer, einen See, dann kamen bald die
schrundigen, schneebedeckten Gipfel in Sicht, und er begann, sich auf den
Anflug auf den Marco Polo Airport zu freuen, den Blick von oben über das
fischförmige Venedig in seiner glitzernden Lagune.
    Leider war die Stadt unter einer Wolkendecke verborgen, als es so
weit war, und er sah nur hier und da ein Gemüsefeld und einen Teil von
Tronchetto, der künstlichen Versorgungsinsel, als das Flugzeug tief genug war.
Bei der Landung klatschte jemand zaghaft Beifall, hörte aber gleich wieder auf
damit, als klar wurde, dass er allein bleiben würde – zu dieser Tageszeit saßen
nur noch wenige Touristen im Flugzeug, die meisten Reisenden waren wohl
Stadtbewohner, die nach Hause kamen, so wie er und Herr Tukur.
    ~
    Der wartete auch zusammen mit den anderen auf den Bus nach
Piazzale Roma. Als echter Venezianer (und beflissener Gast) nahm man nur im
Notfall die schnellere und teurere Alilaguna-Linie oder gar ein Taxiboot. Echte
Venezianer haben es nicht eilig, denn das kann man nicht in dieser Stadt. Hier
hat man Zeit für seine Erledigungen und Wege, weil man sie braucht. Die Boote
sind langsam, die meisten Wege geht man ohnehin zu Fuß – vergleichsweise
schnell sind hier nur Polizei, Krankentransport und Feuerwehr. Und gelegentlich
Filmstars, reiche Leute oder Wichtigtuer mit weißer Kapitänsmütze und goldenen
Knöpfen am Blazer.
    An der Endhaltestelle Piazzale Roma verteilten sich die Fahrgäste
auf die verschiedenen Bootslinien. Michael hätte auch zu Fuß gehen können, aber
er nahm die 6 bis San Basilio, weil er das vertraute Schaukeln und Knurren des
Bootes als Willkommensgruß empfand, und ging von dort die paar hundert Meter
zur Fondamenta Briati und seinem Haus.
    Die Bezeichnung Haus war nicht korrekt – es war ein Palast, zwar
schmucklos bis auf fünf Figuren, die Dach und Giebel krönten, einen kopflosen
Römer und einen geflügelten Löwen im Garten, die Fassade war heruntergekommen
und changierte farblich zwischen Grün, Gelb, Schlamm und Sand, aber die Lage an
der Kreuzung zweier Kanäle und mit einigem Abstand zu den Nachbarn bot ihm
weite Ausblicke in fast jede Richtung. Er hatte ihn vor neun Jahren einem
klammen Rockbassisten abgekauft mit sämtlichen Möbeln, Vorhängen und Teppichen
und, außer den Bildern, nichts an der Einrichtung geändert. Die allesamt
entweder streng oder abwesend dreinschauenden Ahnenporträts der ursprünglichen
Besitzer, einer venezianischen Kaufmannsfamilie, hatte er abgenommen und sich
stattdessen von einem Studenten

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