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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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an der Accademia delle Arte große, stille
Pastellflächen im Stil von Rothko malen lassen, die jetzt, zusammen mit einigen
lebensgroßen Holzplastiken von Balkenhol, einen freundlichen, aber bestimmten
Akzent gegen die Mosaikböden und das Renaissancedekor an Wänden und Decken
setzten.
    Michael hatte schon auf dem Weg vom Gate zum Bus dieses innere
Aufatmen gespürt – der Meergeruch mit einer Prise Diesel gemischt, die
italienischen Stimmen, das Stakkato der Frauen mit ihren Absätzen auf dem Boden
und ihren Anweisungen in die Handys –, all das hatte, wie so oft schon, eine
große Erleichterung bei ihm ausgelöst. Es war nicht direkt ein Heimatgefühl, er
wusste ja, dass er nicht wirklich hierhergehörte, es war aber dennoch das
Gefühl, am richtigen Ort zu sein.
    Sich in Deutschland wie ein Fremder zu fühlen kam ihm vor wie ein
Manko, etwas Falsches, hier war es das nicht, hier war es das Richtige, ein
komfortabler und stilvoller Zustand.
    ~
    Im Haus empfing ihn Minus, die Katze seiner Nachbarin
Serafina. Minus hieß eigentlich Minou, und Serafina hieß eigentlich Séraphine,
denn sie stammte aus der Bretagne, aber sie wollte ihren Namen partout italienisch
ausgesprochen hören, und sie musste die Katze vor ihrem Mann verleugnen, einem
Manager von Elf Aquitaine, der nur an den Wochenenden kam. Immer dann war Minou
Michaels Katze und hieß Minus. Sonntagnachts zog sie um ins Nachbarhaus und
hieß wieder Minou.
    Michael und Minus pflegten ein sehr entspanntes Verhältnis – man
ließ einander in Ruhe und erging sich nicht in unangebrachter Zärtlichkeit, das
Höchste an Liebesbekundung war, dass Minus sich gern in seiner Nähe aufhielt
und Michael gern mit ihr redete und hin und wieder seine Nase an ihre stupste,
wenn sie, zur Begrüßung oder zum Abschied, extra zu diesem Zweck auf die
Barockkommode im Flur sprang.
    In der Küche lag eine Packung Linguine auf der Theke, eine Schüssel
mit schon gewaschenem Salat stand daneben, und ein Kügelchen in Silberfolie lag
auf dem von Besteck und Serviette umrahmten Teller, daneben ein Zettel, der von
seinem Trüffelhobel beschwert wurde:
    Ciao caro, der Trüffel ist frisch, lass ihn nicht
verkommen. Minou ist schlechter Laune, vielleicht hilft Thunfisch dagegen. S.
    Der Zettel war auf Deutsch. Serafina beherrschte außer ihrer
Muttersprache noch Englisch, Deutsch und Italienisch, sie hatte jahrelang als
Lobbyistin in Brüssel gearbeitet, jetzt übersetzte sie nur noch.
    Neben Minus’ Schälchen mit Trockenfutter und Wasser stand eine
kleine Dose Thunfisch, noch ungeöffnet, Serafina war so rücksichtsvoll gewesen,
ihm den Geruch nicht einfach zuzumuten, sondern ihm die Entscheidung zu
überlassen, ob und wann er das servieren wollte. Sie wusste, dass er Fleisch
und Fisch weder gerne ansah noch roch. Aber sie wusste auch, dass er Minus
diese Leckerei nicht vorenthalten würde.
    Der Trüffel in seiner Folie sah aus wie ein Turnpiece aus längst
vergangener Zeit. Michael musste lächeln bei dieser Assoziation.
    Eigentlich hatte er Hunger, aber er setzte noch kein Wasser für die
Pasta auf, sondern bewirtete nur Minus mit dem Thunfisch auf einem
Extratellerchen, dann ging er nach oben in sein Musikzimmer, schaltete Computer
und Keyboard ein, legte seine Zigaretten und Streichhölzer neben das Mousepad,
startete die Musiksoftware und suchte nach einem Sound, der dem einer Spieluhr
nahekommen würde.
    Auf dem Vaporetto waren ihm eine Zeile Text und ein Stück Melodie
zugeweht, die wollte er nicht vergessen. Poetische und melodische Einfälle sind
flüchtig. Man muss sie festhalten, solange sie einen noch umkreisen, sonst sind
sie für immer verloren. Er hatte das Stückchen Text auf dem Handy notiert und
übertrug es jetzt auf ein leeres DIN-A 4-Blatt: As stone to sand and sand to dust all things will change, cause
change they must …
    Mehr hatte er noch nicht, aber es fühlte sich an wie der Kern zu
einem Song, vor allem weil ihm gleich eine Melodie dazu eingefallen war und
eine Struktur mit wenigen Paukenschlägen und schreitendem Charakter.
    Minus war hinter ihm hergekommen und sprang auf das kleinere der
beiden Sofas. Das tat sie oft, wenn er sich hier oben aufhielt – sie mochte es,
wenn er an Musik arbeitete.
    Nach einer Stunde hatte er die Melodie von Vers und Refrain so weit
entworfen, dass er getrost Pause machen konnte, er würde

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