Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Erobernden bis zur Seelenverwandten,
in deren Innerem er sich auskannte (zumindest glaubte er das), mit der er litt
wie ein durchgedrehter Fan, wenn irgendein Artikel im Rolling Stone oder
Billboard oder auch in einem der angelsächsischen Yellow-Press-Blätter von
Trennung, Entzug oder Tod eines Elternteils erzählte â dabei war er in gewisser
Weise eins mit ihr, verbunden durch die Songs, die er für sie schrieb und die
dann oft zu ihren Klassikern zählten, die sie auf jedem Konzert sang, die von
anderen Sängern und Bands aufgenommen, von Fans am Lagerfeuer nachgespielt und
in den Radiostationen so mancher Weltgegend regelmäÃig aufgelegt wurden. Er war
in einer symbiotischen Beziehung mit ihr verbunden, und sie wusste es nicht.
Und er war weder aufgeregt noch schüchtern oder gar durcheinander
gewesen â ihr so überraschend so nah zu sein, hatte er hingenommen wie den
Wortwechsel mit einem Busfahrer oder Postboten und sich gefühlt wie der, für
den sie ihn hielt: ein alter Kumpel, ein flüchtiger Bekannter, jemand von
früher.
Er hatte auch nicht eine Sekunde lang den Drang verspürt, sich ihr
zu eröffnen, zu sagen, ich bin das, ich schreibe die Songs, ich bin derjenige,
den du am Anfang deiner Karriere noch unbedingt kennenlernen wolltest, bis du
irgendwann aufgabst zu suchen und schlieÃlich glaubtest, es handle sich um
einen, der sich nicht outen kann, der anonym bleiben muss, weil er einen Namen
zu verlieren hat.
Dass es ein Mann sein musste, glaubte sie nicht nur wegen des
Pseudonyms, das er gewählt hatte: Tyger Lax. Sie sagte in einem Interview mit
dem New-Musical-Express, dieser Songwriter müsse sie lieben, sie spüre das in
jeder Zeile, auch wenn er sie so gut verstehe, ihr Inneres so gut kenne, was
eher für eine Frau spräche â dieser Mensch halte sie aber für besser, als sie
sei, und das wiederum spräche für einen Mann. Sie spüre einfach, dass es ein
Mann sei.
Der ominöse Songwriter war kein groÃes Thema in den Medien, nur ganz
am Anfang, nach ihrem ersten britischen Erfolg Blame it on
the summer , und dann noch einmal, zwei Jahre später, als der Song The one Iâm missing in einem Film mit Gwyneth Paltrow verwendet
und zum Welthit geworden war. Aber das Interesse erlosch so schnell, wie es
aufgeflammt war. Jagger hatte recht gehabt mit der Aussage: Itâs the singer,
not the song. Auf jeden Fall ist es nicht dessen Autor. Der gehört nicht ins
Scheinwerferlicht.
Damals, als Blame it on the summer die
ersten Wellen schlug, lebte Michael in Galway und hatte sich schon halb von dem
Gedanken verabschiedet, eines Tages vor Erin hinzutreten und zu sagen, ich bin
der, der die Songs schreibt. Er besuchte, wenn er konnte, Konzerte von ihr,
fuhr dafür nach Dublin, Cork und Sligo â es waren inzwischen die gröÃeren Säle
in den Städten, keine Gefahr mehr, ihr zufällig an der Bar oder vor dem Klo
über den Weg zu laufen, wie sie noch anfangs in den Pubs bestanden hatte. Auch
den Vollbart nahm er ab, Michael war längst einer unter vielen geworden, dem
niemand ansah, wo er herkam, womit er sein Geld verdiente oder was ihn hierherbrachte.
Er wusste allerdings längst, dass er sie liebte, aber er hatte sich
an die Heimlichkeit gewöhnt und zu denken begonnen, dass eine Liebe, die nie
geprüft wird, auch nie scheitern kann. Das war hochgestochen und überdreht,
aber er war nicht der Erste, der die Wirklichkeit einem Ideal zu opfern bereit
war und die eigene Zaghaftigkeit zu einer höheren Daseinsform stilisierte.
Eigentlich benahm er sich wie ein Fan, der eine unerreichbare Figur anhimmelt
und seinen Narzissmus damit gegen jede Enttäuschung immunisiert, aber die
Schraube ging noch eine Drehung weiter: Erin war nicht wirklich unerreichbar.
Nicht für ihn. Er konnte jederzeit mit der Heimlichtuerei aufhören und dem
wirklichen Leben eine Chance geben. Dies nicht zu tun steigerte das Ganze noch.
Hochgestochen und überdreht. Aber nach und nach das Normale. Jedenfalls für
Michael.
Anfangs hatte er darauf gebrannt, sich ihr zu eröffnen, aber dann
war immer ein neuer Grund aufgetaucht, es noch hinauszuschieben â einmal war
sie liiert mit einem Filmschauspieler, ein andermal mit einem Rockstar, später
zog sie nach Los Angeles und hing dort mit Leuten herum, die er nicht
kennenlernen wollte. Der Zeitpunkt war nie der richtige, bis Michael irgendwann
begriff, dass er es
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