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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Schrank, stopfte alles in den
Rucksack, den er für solche Gelegenheiten einer Sporttasche vorzog, und ging
zur Anlegestelle San Basilio, setzte mit dem Vaporetto nach Giudecca über, ging
ins Hilton und fuhr mit dem Aufzug aufs Dach zum Panoramaschwimmbad. Der Blick
von hier oben war umwerfend und der Pool groß genug, dass man darin auch
schwimmen konnte, vor allem leer genug, dass man nicht andauernd mit jemandem
zusammenstieß, denn hier hielten sich überwiegend Luxusweibchen auf, die ihrer
teuren Frisur nichts antun wollten und deshalb nur alle halbe Stunde einen Zeh
ins Wasser steckten.
    Diese gertenschlanken Frauen, von denen Michael annahm, ihr Leben
bestünde aus nicht viel mehr als dem Abschreiten ihrer exorbitant großen Immobilien
und der Planung von Partys und Empfängen, um genügend Neider aufs Gelände zu
locken, hingen in den Loungemöbeln wie erschöpfte Schwäne nach einem
Überseeflug und erholten sich vom Shopping. Erst wenn der ihnen angehörige
Geldvermehrer auftauchte, kam Leben in ihre schlaffen Glieder, sie legten ihre
bunten Blättchen zur Seite, die sie zur Lektüresimulation bei sich hatten, und
widmeten sich dem, der ihre Psychotherapie finanzierte.
    Michael wusste, dass diese Vorstellung platt, unfair und von Ressentiments
getrieben war, aber er wurde sie einfach nicht los. Wenn er sich früher
manchmal bei einem Drink nach dem Schwimmen aus den Augenwinkeln umgesehen
hatte, dann war unter diesen überwiegend blonden Frauen einfach keine gewesen,
deren Gesicht oder Haltung, Lektüre oder Blick auf eine Professorin,
Politikerin, Schauspielagentin oder Autorin hätte schließen lassen, keine, von
der man hätte annehmen können, dass sie sich für irgendetwas aufrieb, ihre
Belegschaft, ihr Werk oder wenigstens ihren Garten – sie sahen alle aus, als
trage ihnen jemand, der ihre Sprache allenfalls mühsam beherrscht, noch den
Nagellack hinterher.
    Michael wusste auch, dass er nicht das Recht hatte, sich über
irgendjemandes Wohlleben zu mokieren – er selbst würde nie mehr Geldsorgen haben,
falls er nicht glaubte, eine Zweitwohnung in London zu brauchen. Er hatte Glück
gehabt und andere eben auch. Was sie daraus machten, war ihre Sache, ihm stand
kein Urteil über ihren vermeintlich fehlenden inneren Reichtum zu. Aber er
musste sie auch nicht mögen.
    Ganz anders war es während des Filmfestivals und der Biennale. Da
surrte ganz Venedig vor lauter Extravaganzen, man sah Unikate und Egos, die
sich selbst erfunden oder zumindest stilisiert hatten. Dass die dann am Ende
das Tages, wenn sie betrunken waren, den gleichen Unsinn redeten wie alle
anderen auch und morgens nach dem Aufwachen den gleichen muffigen Mundgeruch
vor sich herbliesen, stand auf einem anderen Blatt.
    In den Pool verirrte sich nur selten jemand, meist waren es
Jugendliche, deren Bewegungsdrang noch stärker als ihr Sinn für Anpassung war.
Michael schwamm eine halbe Stunde lang, dann kam ein typischer Wellenmacher ins
Wasser, der ein bisschen wie Bernd aussah (oder sie sahen beide aus wie Steve
Jobs) und mit seinem Prusten und Kraulen den Poolfrieden störte, und als dann
auch noch ein Querschwimmer dazustieß, der dick und stoisch die sieben Meter
Breite hin und her mit Mühe überwand, ließ Michael es für diesmal sein und ging
zur Umkleide, trocknete sich ab, zog sich um, fuhr nach unten und spazierte den
Uferweg entlang bis Redentore. Erst dort nahm er das Boot auf die andere Seite.
    Die für das Fest errichtete Pontonbrücke war noch geschlossen, aber
sie wurde an beiden Enden umringt und bestaunt von Touristen und Venezianern,
deren Samstagsspaziergänge wie automatisch hierherführten, denn der Kanal
füllte sich mit Booten, die mit Lampions und Zweigen geschmückt am Ufer vertäut
wurden. Überall standen Tische auf den Wegen, an diesem Abend würde ganz
Venedig dort im Freien essen – Bohnen und Zwiebeln, Reis und Meeresfrüchte. Das
Redentore-Fest mit seinem Feuerwerk und seiner Regatta war ein Höhepunkt des
Jahres und brachte so ziemlich alle Einwohner der Stadt auf die Beine.
    ~
    Bei ihrem zweiten Krankenbesuch saß Bernd in Wagners
Zimmer, als brauche der einen Leibwächter, damit ihn Michael und Thomas nicht
mit dem Kissen ersticken konnten. Es schien auf dasselbe einstündige Schweigen
hinauszulaufen wie beim ersten Mal. Bernd sah aus dem Fenster, Wagner an die
Decke, Thomas abwechselnd

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