Vier Arten, die Liebe zu vergessen
zuerst mit
einem Ast wegschieben und nach unten werfen, aber Michael stoppte ihn und
sagte: »Nein. Lass es so. Da setzen wir einen von ihnen rein.«
Wie sie das bewerkstelligen sollten, wussten sie nicht. Wagner war
viel stärker und aggressiver als sie, in einem Kampf hätten sie ihn niemals
bezwungen, aber vielleicht konnten sie ja Bernd mal alleine erwischen. Wie sie
ihn dann die Leiter hochzwingen sollten, wussten sie auch nicht, aber es war
gut, einen Plan zu haben. Wenn schon keinen Platz mehr, dann wenigstens einen
Plan.
Und noch ein Plan reifte in ihren Köpfen: Bernd war das Ass in
Mathematik. Er war allen in der Klasse überlegen, gab informelle Nachhilfe
(natürlich gegen Bezahlung) und sonnte sich im Wohlwollen des Lehrers. Wie es
der Zufall wollte, war Thomas fast ebenso gut â die beiden lieferten sich eine
ständige Konkurrenz um die Gunst und Begeisterung des Lehrers â, Thomas
unterlag meist, aber nur um wenig. Er war so etwas wie der Vizemathestar der
Klasse. Selbstverständlich erklärte er seinen Mitschülern die Finessen, ohne
sich dafür bezahlen zu lassen.
Während des Sportunterrichts schlich sich Thomas nun gelegentlich
davon, um Bernds Mathematikaufgaben, die am selben Tag abgegeben werden
mussten, ein bisschen umzuschreiben. Die Aufgaben mussten immer mit Bleistift
gemacht werden â das war eine Marotte des Lehrers, der keine durch Korrekturen
verschmierten Arbeiten sehen wollte â es war also ein Leichtes, mit einem
Radiergummi hier und da Fehler einzubauen. Flüchtigkeitsfehler, die
einleuchtend wirkten. Thomas war geschickt. Es dauerte Monate, bis Bernd den
Braten roch und aufhörte, an sich selbst zu zweifeln. In dieser Zeit war Thomas
der unangefochtene König, und er und Michael amüsierten sich köstlich und
unbemerkt über Bernds zornige Stirnfalten, wenn der seine Arbeit mit roten
Stellen zurückbekam.
Bernd löste das Rätsel mit einem Experiment. Er schrieb seine Arbeit
zweimal, deponierte eine Version am Vorabend in Wagners Tasche, gab diese
Version ab und verglich sie hinterher mit der anderen, von Thomas redigierten
Fassung.
Von da an trug Bernd seine Sachen bei sich. Im Sport lagen sie nicht
mehr im Umkleideraum, sondern in Sichtweite auf einer Bank, aufs Klo nahm er
sie mit, in Musik behielt er sie in Griffweite â Thomas bekam keine Chance mehr
dranzukommen und büÃte seinen ersten Platz umgehend wieder ein.
Bis zum Frühling war ein dritter Plan gereift. Wagner hatte ein
Zippo-Feuerzeug, das sein ganzer Stolz war â er zückte es bei jeder Gelegenheit
und spielte damit herum, machte nervtötende Aufklapp- und Zuklappgeräusche und
war glücklich, wenn jemand Feuer von ihm brauchte. Der Plan war nun, Wagner dieses
Feuerzeug abzunehmen, damit, so schnell es ging (auf jeden Fall schneller als
Wagner), zum Hochsitz zu laufen und das Feuerzeug tief in der Mitte des ScheiÃhaufens
zu versenken.
Michael, bei dem von Sportlichkeit nicht die Rede sein konnte,
übernahm das GieÃen des Haufens. Alle drei, vier Tage ging er mit einer
Sprudelflasche voll Leitungswasser zum Hochsitz und widmete sich der
Haufenpflege. Am Tage ihres Triumphs sollte dort ja nicht nur ein bisschen
ehemals ekliger Staub auf das Zippo warten. Thomas trainierte währenddessen und
verbesserte tatsächlich seine Zeit, bis er schlieÃlich auf Elf-Null kam. Eine
Sekunde über den legendären Zehn-Null von Armin Hary.
Nun mussten sie noch nahe genug am Hochsitz das Feuerzeug erobern.
Wagner war ein guter Läufer, und wenn es auf Ausdauer ankommen würde, hätte
Thomas keine Chance mehr gegen ihn.
Sie übten sich in Geduld. Es war schon kurz vor den Ferien, Anfang
Juli, als endlich eine Botanikexkursion auf die Lichtung führte. Michael
schlich sich davon und wartete auf dem Hochsitz, denn sie wollten nicht
riskieren, dass Thomas noch auf den letzten drei Metern beim Erklettern der
Leiter eingeholt würde.
Thomas schlenderte in die Nähe von Bernd und Wagner und hatte wie
zufällig eine Zigarette in der hohlen Hand, als er direkt neben Wagner stand.
Es war üblich, bei solchen Gelegenheiten möglichst lässig zu rauchen, ohne dass
der Lehrer es sah. Selbstverständlich war das verboten, aber umso mehr zum
Sport geworden, mit dem man, wenn auch nicht den Mädchen, so doch immerhin sich
selbst imponierte.
»Hast du Feuer?«, fragte Thomas.
»Seit wann rauchst denn du?«,
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