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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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auf die beiden und auf Michael und dieser abwechselnd
auf seine Schuhe, seine Fingernägel, seine Uhr und die Tür.
    Es waren vielleicht zwanzig Minuten vergangen, als Thomas die Stille
störte und fragte: »Was machen wir zum Abschlussfest?«
    Schweigen.
    Â»Theater habt ihr nicht drauf«, sagte Thomas, »Akrobatik hab ich
nicht drauf.«
    Schweigen.
    Â»Michael kann wenigstens demnächst Klavier spielen.«
    Schweigen.
    Â»Könnt ihr irgend was außer blöd glotzen?«
    Jetzt erwachte Wagner zum Leben: »Das sehen wir noch, wer wann wie
blöd glotzt.«
    Â»Jetzt gerade ihr«, sagte Thomas ungerührt, und Michael bekam es mit
der Angst zu tun. Wenn der so weitermachte, dann wären sie gleich wieder mit
der schönsten Prügelei beschäftigt. Er mischte sich ein: »Wir müssen doch nicht
heut schon draufkommen, oder? Wir sehen uns ja jetzt öfter.«
    Â»Kotz«, sagte Wagner.
    Â»Erbrech«, sagte Bernd.
    Â»Blöd glotzen und schlecht riechen«, sagte Thomas.
    Bernd richtete sich auf in seinem Stuhl, von dem er bis eben vor
lauter Lässigkeit bald heruntergerutscht wäre, und beugte sich vor: »Dafür,
dass ihr zwei gleich ganz arg schlecht ausseht , lässt
sich mit wenigen Handgriffen sorgen.«
    Â»Das ist aber verboten«, sagte Thomas, so arrogant er konnte, und
das war ziemlich arrogant.
    Eine Zeit lang starrten sie wieder jeder auf sein gewohntes
Stückchen Welt, bis Bernd in seine Tasche griff und ein Kartenspiel hervorzog.
    Â»Könnt ihr Skat?«, fragte er.
    Â»Ja«, sagte Thomas.
    Â»Nein«, sagte Michael.
    Â»Dann lernst du’s halt«, sagte Wagner, und die nächste halbe Stunde
verflog unter Stöhnen, Prusten und Beleidigen mit der Erklärung der Regeln und
einem Probespiel, in dessen Verlauf sich alles Stöhnen, Prusten und Beleidigen
ausschließlich auf Michael bezog, weil er das komplizierte System nicht augenblicklich
begriff.
    Mit den Worten »Bis morgen hast du’s aber kapiert« entließ Wagner
sie am Ende der Stunde, und den Rest des Tages verbrachten Thomas und Michael
damit, das Reizen zu üben und die Farb- und Kartenwerte zu pauken. Dann machten
sie ein paar Spiele offen, in denen Thomas jeweils zwei Spieler vertrat. Am
nächsten Tag war Michael zwar immer noch miserabel, aber die Regeln hatte er
begriffen.
    Und nach ein paar Tagen machte das Spielen leidlich Spaß und hatte
sich die Chemie unter den vier Verfeindeten merklich geändert. Beim Skat geht
man wechselnde Bündnisse ein, das brachte sie, in immer neuen Konstellationen,
einander näher, als sie bis dahin für möglich gehalten und erträglich befunden
hätten.
    Irgendwann lagen als letzter Stich drei Damen auf dem umgedrehten
Tablett, auf dem sie spielten, und Bernd, der die Karten an sich nahm, sang vor
sich hin: »Girls, girls, girls.«
    Sofort fiel Michael ein mit der Terz darüber, und bei der zweiten
Wiederholung kam Thomas mit der Quart dazu, und sie sangen den Refrain des
alten Popsongs, hielten den letzten Ton, bis Wagner, der die Hände zum
Dirigieren erhoben hatte, mit einer Bewegung der rechten Handkante quer über
seinen Adamsapfel den Dreiklang beendete. Sie grinsten.
    Und überspielten die peinliche Einigkeit mit extra hässlichen
Bemerkungen.
    Â»Klingt irgendwie schwul«, sagte Wagner zu Thomas.
    Â»So was erkennt nur der Fachmann«, erwiderte der.
    Â»Leck mich«, sagte Wagner.
    Â»Geht nicht, du hast deine Tage«, sagte Thomas.
    Bernd musste lachen und verhinderte damit ein Aufschwingen
eventuellen Ärgers, und Michael sorgte endgültig für Frieden, als er einwarf:
»Das klang eher ziemlich gut, würde ich sagen.«
    Â»Kennt ihr die Flying Pickets?«, fragte Bernd, ohne jemanden dabei
anzusehen.
    Â»Only the lonely«, sang Thomas mit Falsettstimme.
    Â»Wir singen was. In dem Sound«, sagte Bernd.
    Â»Da gibt es bessere«, fand Michael.
    Und auf Bernds Frage »Wen denn?« antwortete er: »Die Comedian
Harmonists. Ich such uns was zusammen. Ich hab eine Platte.«
    Schon am nächsten Tag sangen sie, während sie die Karten aufs
Tablett knallten, Lieder wie Mein kleiner grüner Kaktus , Ein Freund, ein guter Freund und Veronika,
der Lenz ist da , die Michael ihnen auf seinem kleinen tragbaren
Kassettenrekorder vorgespielt hatte. Es klang meist schon beim dritten oder
vierten Versuch erträglich – sie waren alle vier

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