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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Hause niemand die gefälschte
von einer echten Tasche unterscheiden konnte und Corinna in Teufels Küche käme,
wenn sie etwas so Angepasstes wie ein Louis-Vuitton-Täschchen mit sich
herumtrüge, sprach endgültig dagegen, ihr eines als Geschenk mitzubringen.
    Aber Wagner, der mit seinen angegrauten langen Haaren auch ein
Lehrer hätte sein können, war ohnehin nicht im Fokus der Verkäufer gewesen, der
schwarz gekleidete Bernd mit seiner drahtigen Managersilhouette und Thomas im
feinen Tuch ähnelten eher der Zielgruppe, auf die man als Straßenhändler ein
Auge warf.
    Â»Blickkontakt vermeiden ist das Einzige, was hilft«, sagte Michael,
als die Händler endlich von ihnen abgelassen und sich auf die Reisegruppe
gestürzt hatten.
    Noch waren nicht sehr viele Touristen unterwegs, die Vormittage sind
auch im Sommer eher ruhig, und so kamen sie ohne Gedrängel und Geschubse durch
die meist engen Gassen zwischen Campo San Stefano und Markusplatz, vorbei an
den Luxushotels Bauer-Grünwald und Gritti Palace, den Flagship-Stores der
großen Modemarken und mehreren Straßenhändlern, Musikern und weiß oder mit
Gold- oder Silberbronze bemalten lebenden Statuen.
    Auf San Marco spielte noch keines der drei Orchester, weder vor dem
Florian noch dem Quadri, noch um die Ecke auf der Piazetta vor dem Dogenpalast – einige Händler mit Sonnenblumenkernen stritten sich um zwei Gruppen und
wenige Individualreisende, die ein Foto mit Taube auf der Hand wollten – so
hatte Venedig vielleicht auch schon in den Fünfzigerjahren ausgesehen. In zwei,
drei Stunden, wenn die vielen heimreisenden Adria-Urlauber hier für ein paar
Stunden Station machen würden, käme man nicht mehr so entspannt über den Platz.
    Jetzt hätte man sogar ohne Wartezeit in den Dom gehen können, aber
Michael wollte seinen Freunden zuerst Bellinis Heiliges
Gespräch in der Kirche San Zaccaria zeigen. Das schönste Bild in der
Stadt, wie er ihnen ankündigte. Jedenfalls für seine Augen, fügte er hinzu.
    Â»Ich bin froh, dass ich keine Frau bin«, sagte Bernd irgendwann mit
Blick auf die glitzernden Schaufenster voller Glas und Schmuck und allerlei
vergoldeter Dinge, »hier käme ich keine drei Meter pro Stunde vorwärts.«
    Â»Du wärst aber eine Lesbe«, sagte Thomas.
    Â»Die Stadt hat ihre Seele verkauft«, sagte Wagner, »der ganze
Reibach hier hat doch nichts mehr mit Venedig zu tun.«
    Â»Es war immer eine Handelsstadt«, sagte Michael, »da stammt der
Reichtum her. Die Produktion fand auf den Nachbarinseln statt, Glas in Murano,
Spitze in Burano, Landwirtschaft auf den Laguneninseln, hier in Venedig war der
Handel alles. Und die Seefahrt natürlich, die ihn erst ermöglicht hat. Die
Schiffe wurden hier gebaut. Es gibt jetzt noch kleine Werften für die Boote und
Gondeln.«
    Â»Trotzdem, es ist grausig«, sagte Wagner. »Eine einzige gigantische
Fußgängerzone.«
    Â»Da sagst du was Wahres.« Michael ignorierte die von Wagner gemeinte
Bedeutung des Wortes als Einkaufsmeile. »Das Auto hat hier nichts verändert.«
    Â»Fühlt sich ganz logisch und normal an«, sagte Bernd, »ist mir nicht
mal aufgefallen, kein Blech, kein Krach, keine Vespas.«
    Â»Andere Welt«, sagte Thomas, »der Himmel fürs Auge und die Hölle für
die Brieftasche.«
    Damit hatte er dummerweise wieder einen Schlenker hin zu Wagners
Konsumkritik vollzogen, und sie mussten sich Ausführungen über die
Globalisierung, die den Hunger in der Welt verschlimmere, und den Kommerz, der
die Seelen der Menschen vergifte, anhören, bis es Bernd zu viel wurde und er in
ruppigem Ton einwandte: »Das Gegenteil ist richtig. Der Hunger nimmt ab, der
Wohlstand nimmt zu, Kindersterblichkeit und Analphabetismus gehen zurück, und
die Lebenserwartung verbessert sich konstant, und zwar genau, seit die Globalisierung
richtig in Schwung gekommen ist, nämlich seit den Siebzigerjahren. Jetzt
kriegen endlich die Armen was ab.«
    Â»Das ist doch Quatsch«, sagte Wagner, »woher willst du denn das
wissen?«
    Â»Aus den Statistiken, die jeder lesen kann. Du auch. Es reicht
nicht, wenn man nur Käsmann zuhört und Taz liest. Schau halt mal nach bei der UNO, WHO , Unicef und so weiter.«
    Â»Wählst du FDP ?«, fragte Wagner, sauer
bis zum Haaransatz über diese Zurechtweisung.
    Â»Ihr verderbt mir die Laune, wenn ihr so

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