Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
weitermacht«, bellte
Michael, bevor Bernd wieder antworten konnte, »da vorne gehen wir rechts.«
    Der Platz vor San Zaccaria war fast leer, nur drei alte Männer
redeten gestikulierend auf einen Carabiniere ein, und ein Gast verließ das
kleine Hotel und zog seinen Rollkoffer in Richtung Vaporetto.
    In der düsteren Kirche waren sie allein. Michael warf fünfzig Cent
in das Kästchen vor dem Bild, das Licht ging an, und Thomas sagte nach kurzer
Zeit, in der sie alle vier auf das Bild geschaut hatten: »Verstehe.«
    Â»Ich noch nicht«, sagte Bernd, aus dessen Stimme der Ärger schon
wieder verschwunden war, »aber wenn du’s mir erklärst vielleicht.«
    Â»Was?«, fragte Michael. »Warum ich es so umwerfend schön finde?«
    Â»Ja.«
    Â»Die strahlenden Farben, die Ruhe, die nur fast symmetrische
Komposition, die geistvollen Gesichter, das kleine bisschen Ferne links und
rechts und die große, feingliedrige Klarheit in allem.«
    Â»Aha«, sagte Bernd.
    Â»Schau dich mal um hier, die Zeitgenossen und Nachfolger, was die
alles gemalt haben. Düster, wirr, pathetisch, aufgedonnert, alles überwuchert
von Gesten, Drama, Aufruhr – jede Falte trumpft auf, jede Wolke drückt aufs
Auge –, bei Bellini herrscht eine Klarheit, die mir vorkommt wie sichtbare
Weisheit. Das wirkt wie gute Musik auf mich. Ich werde positiv aufgeladen von
dem Anblick. Besser kann ich’s nicht ausdrücken.«
    Â»Gut genug«, sagte Thomas.
    Â»Weiß, was du meinst«, sagte Bernd.
    Wagner spazierte inzwischen durch die Kirche, beiläufig
begutachtend, als wäre er ein Investor, der sich überlegt, eventuell eine
Diskothek oder ein Restaurant aus dem alten Kasten zu machen.
    Thomas war Michaels Blick gefolgt und sagte leise, sodass Wagner es
nicht hören würde: »Er sieht nur Jahrhunderte voller Unterdrückung und
Machtgier, er sieht keine Musik.«
    Â»Schade«, sagte Michael.
    Das Licht erlosch, Michael warf noch einmal fünfzig Cent ein, und
sie standen schweigend vor dem Bild, bis eine junge Frau die Kirche betrat,
sich mit zwei Fingerspitzen Weihwasser bekreuzigte, nach vorne zum Altar ging
und sich dann in eine der Bankreihen kniete, um zu beten.
    Auf dem Weg in Richtung Ospedale trödelte Wagner hinter ihnen her
und ließ den Blick über die Schaufenster streifen. Hier gingen nur
Stadtbewohner und allenfalls die kunstbeflissenen Touristen entlang, deshalb
fand man hier Handwerker, Haushaltswaren, Buchhandlungen und Friseure. Als
Bernd abrupt vor einem Schaufenster mit Spielzeug und Schreibwaren stehen
blieb, weil dort zwei junge Frauen einen Teddybär bewunderten, kam Michael sich
vollends vor wie ein Lehrer, der seine ignorante Klasse durchs Programm
scheucht.
    Â»Nervt das, wenn ich euch meine Lieblingsstellen zeige?«, fragte er
Thomas.
    Â»Mich nicht«, sagte der. »Aber Bernds Reflexe musst du wegstecken.
Der kann nicht anders.«
    Â»Da vorn gibt’s Espresso«, schlug Michael vor, »da wartet sich’s
angenehmer.«
    Bernd, der irgendwann mit dem Lächeln eines zufriedenen Katers auf
dem Gesicht wieder zu ihnen stieß, war hingerissen von den perspektivischen
Marmorarbeiten auf der Fassade des Hospitals – er konnte sich nicht sattsehen
an der raffinierten Augentäuscherei und erklärte sich bereit, hier auf Wagner
zu warten, der in einen CD -Laden verschwunden war,
während Michael und Thomas schon vorausgingen in die Kirche Santi Giovanni e
Paolo.
    Michael freute sich an Thomas’ Begeisterung über den riesigen Raum,
die Dogengräber, das Bellini-Triptychon mit Sebastian und Christophorus, die
Dekors von Tullio Lombardo, das ganze so riesige wie dezente Ensemble dieser
größten gotischen Kirche der Stadt. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen
lieber mit Thomas loszuziehen und ihm die Schätze seiner Wahlheimat zu zeigen,
Bernd dürfte auch noch mitkommen, wenn er nicht bei jedem Rock eine
Anbahnungsunterbrechung einlegte, aber Wagner sollte lieber joggen. Der war
einfach eine Zumutung. Diese blicklose Blödheit und noch dazu das Genörgel, das
war nicht auszuhalten.
    Als Bernd nach einiger Zeit hereingekommen war und Michael ihn
fragte, wo Wagner bleibe, sagte der: »Wartet draußen. Ist ihm zu teuer.«
    Michael ärgerte sich nicht mehr. Er hatte Wagner innerlich
abgeschrieben. Als Kunstfreund zumindest. Aber eigentlich auch als jemanden,
mit dem er

Weitere Kostenlose Bücher