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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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wenigsten.
    Nachts um zwei, als alle längst abgezogen waren, hatte er Erin
angerufen, ihr in sachlichem, nüchternem Ton erklärt, was passiert war, wo er
sei, dass er sich nicht bewegen könne, weder ins Haus hinein noch von dessen
Schwelle weg, und Erin war sofort ins Auto gestiegen und hatte ihn drei Stunden
später kurz vor Sonnenaufgang auf der Treppe sitzend gefunden, wach und ohne
sichtbare Gefühlsregung – sie hatte ihn in ihr Auto gesetzt und zurück an die
Ostküste gebracht.
    Jetzt war er in ihrem Haus bei Rosslare, Erin hielt sich mit Kaffee
und Aspirin wach, aber sie musste irgendwann mal schlafen, deshalb sei Eile
geboten. Sie würden sich abwechseln. Michael müsse mitkommen. Man könne Ian
keine Sekunde aus den Augen lassen. Erin, Megan und Michael seien seine
einzigen Freunde.
    Das Bootstaxi wartete mit ausgeschaltetem Motor. Thomas und Wagner
waren beim Gartentor stehen geblieben. Michael fasste Megans Oberarm und
drückte ihn leicht, dann drehte er sich um, ging zum Tor, sagte zu den
Freunden: »Ich muss weg, weiß nicht, wie lang«, ging zur Haustür, schloss auf
und ging nach oben in sein Schlafzimmer, wo er in zwei Minuten Unterwäsche,
Socken, T-Shirts, eine Hose, einen Regenmantel aus dem Schrank nahm und in
seine Reisetasche legte, dann ins Bad, um Rasierzeug und Zahnbürste zu holen,
in die Küche, um sechs Hunderter aus der Schublade zu nehmen, und wieder nach
unten.
    Â»Nimmst du am Wochenende die Katze zu dir?«, sagte er zu Thomas. Der
nickte, schaute aber fragend. »Serafina erklärt dir alles. Falls du Bargeld
brauchst, liegt welches in der Küchenschublade unterm Besteck.«
    Â»Was ist los?«, fragte Wagner.
    Â»Ein Freund in Not«, sagte Michael, umarmte zuerst Wagner, dann
Thomas, sagte dann noch: »Macht’s gut. Es war schön mit euch«, nahm seine
Reisetasche und ging zu Megan, die dem Taxifahrer einen Wink gab, worauf der
den Motor startete, das Boot wieder ganz an die Ufermauer manövrierte und ihnen
die Hand reichte, damit sie einsteigen konnten.
    Als sie losfuhren, waren Wagner und Thomas zur Einstiegstreppe am
Kanalufer gekommen, Wagner hob die Hand, und Thomas nickte nur. Megan und
Michael standen im Bootsheck und sahen über das Kabinendach hinweg, so wie Michael
vor zwei Tagen mit Bernd und Thomas auch hierhergefahren war. Die beiden Männer
am Ufer gaben ein trauriges Bild ab. Als wäre dies ein Abschied für immer, ein
schmerzhafter Einschnitt, den man nicht will, aber hinnehmen muss.
    Als das Taxi nach links Richtung Stazione Marittima abbog, winkte
Thomas, und Wagner hatte noch einmal, als er sah, dass Michael sich zu ihnen
umwandte, wie vorher schon die Hand gehoben.
    Â»Mein Gott, das ist hier unglaublich schön«, sagte Megan leise. Sie
erwartete keine Antwort.
    Das Boot fuhr durch den Giudecca-Kanal, am Hafen vorbei um die
Nordseite der Insel, um dann bei Fondamenta Nuove in die Fahrrinne zum
Flughafen einzubiegen.

Kapitel 4
    Sie gingen direkt zur Sicherheitsschleuse. Megan hatte
Michaels Ticket schon in Dublin gekauft und bei ihrer Ankunft hier gleich
wieder eingecheckt. Nachdem er die Schleuse passiert und seine Sachen vom Band
genommen hatte, spürte Michael, dass ihm Tränen übers Gesicht liefen. Die Frau,
die die Plastikwannen einsammelte, um sie wieder nach vorn zu bringen, sah ihn
prüfend an, sagte aber nichts. Megan wartete auf ihn und nahm seine Hand, als
sie weiter zum Gate gingen.
    Â»Kanntest du ihn?«, fragte sie irgendwann auf dem Weg zum Gate.
    Â»Wen?«
    Â»Rahul. Ians große Liebe.«
    Â»Nein, ich wusste nicht mal, dass er schwul war.«
    Â»Uns hat er das auch erst vor zwei Monaten gesagt. Er war so
glücklich.«
    Â»Ja«, sagte Michael und ließ Megans Hand los, um sich das nasse
Gesicht mit dem Jackenärmel abzuwischen.
    Â»Ich weiß nicht, wieso ich weine«, sagte er.
    Sie schwieg.
    Vielleicht, weil sein Gehirn sich noch immer weigerte, Ordnung in
das Durcheinander zu bringen, dachte er darüber nach, ob Bernd und Wagner den
nächsten Tag noch bleiben würden, ob jemand Bernd auf seine Unhöflichkeit
hinweisen würde, ob Thomas es schaffen würde, an diesem Abend auf einer geraden
Linie von der Tür zum Bett zu kommen, ob Wagner sich jetzt gerade etwas ohne
Fleisch bestellen würde, ob Serafina sich noch einmal bei den dreien sehen
lassen würde und ob mit dem Besuch dieser müde gewordenen

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