Vier auf dem Laufsteg
versammelte Mannschaft an.
»Das ist wirklich eine grandiose Farbe für dich«, sagte Alison, die Kamera wieder im Anschlag. »Kannst du mal die Knöpfe zumachen?«
Innerlich ihre ungeschickten Finger verfluchend, bekam Laura den ersten Knopf zu und zog den Mantel zusammen, um den zweiten zu schließen. Dummerweise weigerten sich ihre Brüste, mitzumachen.
»Er passt nicht...«, sagte sie, doch da übertönte das laute Reißen des Stoffes entlang der hinteren Naht jedes weitere Wort. Es hörte gar nicht mehr auf. Der Mantel riss und riss und riss. Ein harsches, hässliches Geräusch. Und Laura wusste genau, dass dieser Moment sie auch noch in fünfzig Jahren schweißüberströmt aus dem Schlaf hochfahren lassen würde.
Unglücklicherweise war es aber noch nicht 2058. Sie war im Hier und Jetzt, und ihr Rückenspeck hatte vor den Augen von drei Leuten, die eisern so taten, als wäre nichts passiert, ein Kleidungsstück zerrissen.
Konnte man vor Scham sterben?
Offensichtlich nicht.
»Es. Tut. Mir. So. Leid.« Es war anstrengend, mit zusammengebissenen Zähnen zu sprechen.
Kat hielt ihre Hand hoch. »Keine Sorge«, sagte sie fröhlich. »Diese Musterteile sind immer so lächerlich winzig.«
Laura blieb nichts anderes übrig, als den verhassten Mantel vorsichtig wieder auszuziehen und zu versuchen, halbwegs ruhig zu wirken. Auch wenn sie innerlich ein hysterisch kreischendes, heulendes, auf dem Boden kauerndes Bündel Elend war.
»Ich bin gerade dabei, abzunehmen«, sagte sie hilflos. »Es tut mir wirklich so leid.«
Kat nahm plötzlich ihre Hand, was es ihr unmöglich machte, blitzartig von hier zu verschwinden.
»Ich bring dich nach draußen«, sagte sie, und Laura wünschte, sie wäre nicht auch noch so nett. Das war schwerer auszuhalten als all die kalten Blicke und verächtlichen Sprüche, die sie in den letzten Wochen gesammelt hatte wie abgefahrene U-Bahn-Tickets.
Kat zog Laura aus dem Schrank, und vielleicht ahnte sie, dass Laura nur um Haaresbreite von einem Heulkrampf entfernt war, denn sie drückte kurz ihre Hand und ließ sie wieder los.
»Weißt du, warum du mir in der Show so gut gefallen hast?«, fragte sie, während sie die Bürotür öffnete.
»Weil ich einen der Juroren vor laufender Kamera angemacht und mich von niemandem hab fertigmachen lassen«, antwortete Laura automatisch. »Im echten Leben bin ich’ne Riesenenttäuschung, stimmt’s?«
»Na ja, dein Auftritt in der Show war nicht übel«, gab Kat mit spöttischem Grinsen zu. »Aber ich bin ziemlich simpel gestrickt und fand dich einfach schön und auf eine erfrischende und glaubwürdige Art attraktiv, nicht so verstörend wie ein paar der anderen Mädchen, die alle nur aus Beckenknochen und herausstehenden Wangenknochen bestanden. Du hast ausgesehen, wie unsere Leserinnen an ihrem allerallerbesten Tag aussehen könnten.«
»Das sagst du nur, damit ich mich besser fühle«, protestierte Laura und versuchte, das beunruhigende Kribbeln hinter ihren Lidern zu ignorieren.
Sie durfte bestimmt nicht so offen mit Kat reden, Heidi würde sie umbringen - wenn sie sie dann nicht schon längst wegen des Mantels gekillt hätte.
»Nein, ich will dich wirklich gern in unserem Heft haben; vielleicht könnten wir ein Interview mit dir machen, was alles so in der Zeit seit Supermodel passiert ist.« Kat erwärmte sich zusehends für diese Idee. »Wie traumhaft schön und aufregend alles ist...«
Sie verstummte, weil Laura ein Gesicht machte wie die Frau auf Edvard Munchs Gemälde »Der Schrei«, und auch, weil beiden klar war, dass nichts, aber auch gar nichts an einem Leben als Model traumhaft schön und aufregend war - es sei denn, man hieß Candy oder Holly oder sogar Irina, die wahrscheinlich gerade in Tokio jemanden fragte, ob sie zu ihrer Tempura Ketchup kriegen könnte.
»Wirklich, noch mal vielen Dank für alles«, murmelte Laura und schüttelte Kat die Hand. »Und, äh, ich wollte dir noch sagen, dass Polka Dot meine Lieblingszeitschrift ist und ich finde, dass du das super machst, und ich sage das nicht, um mich einzuschleimen, und, ach verdammt, ich sollte am besten meine Klappe halten und machen, dass ich wegkomme.«
Kat stieß ein gurgelndes Lachen aus, als würde eine Badewanne auslaufen, und umarmte sie wieder.
7
L aura bummelte am Ufer der Themse entlang, und während sie Horden von Joggern und mit Rucksäcken bepackten Touristen auswich, betrachtete sie die von Bäumen eingerahmte Skyline von London. Außerdem ging sie
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