Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
war und auch keine Imbissbude. Viel hatten wir nicht, und nur Lena und ich hatten unsere EC-Karten dabei. Meine half uns aber nicht groß weiter, wenn ich an meinen Kontostand dachte, ich war nicht gut im Sparen. Warum hatte ich das Geld meiner Eltern in meinem Zimmer gelassen?
Weil ich nicht dachte, es auf dem Friedhof zu brauchen.
Ich schlenderte zum Eingang des Lehrpfads hinüber und starrte auf das Orientierungsschild. Es war von Hand gemalt und die schwarze Schrift auf dem grünen Baumhintergrund im Dunkeln schwer zu lesen. Mit dem Handydisplay leuchtete ich den Plan an, doch nirgendwo waren Bäume oder Büsche mit Beeren oder Obst eingetragen.
»Hier gibt’s nichts«, rief ich zu den anderen hinüber und ließ das Display ausgehen; das Aufladegerät hatte ich natürlich nicht dabei. Die Luft roch frisch und nach Wald, in der Ferne raschelte ein kleines Tier durchs Unterholz. Mein Magen knurrte, und ich ging wieder zurück. »Wir müssen irgendwo was kaufen.«
Zwei Vögel beschimpften sich wüst und jagten flatternd davon.
»Und wo?«
»Im nächsten Dorf.«
»Um die Zeit hat alles zu.«
»Tanke.«
»Dahin müssen wir eh bald«, sagte Lena. »Aber ich brauch erst eine kurze Pause.«
»Müde?«, fragte ich.
»Bisschen. Ein Kaffee oder Energydrink wäre gut.«
»Oder was zu essen«, ergänzte Maik.
Ich hüpfte auf der Stelle, um mich aufzuwärmen, die anderen schüttelten die steifen Gelenke aus, und das Gespräch drehte sich im Kreis. Ich wünschte, ich hätte eine lange Hose angezogen, und zumindest Lena musste es ähnlich gehen. Mit der aufgehenden Sonne würde irgendwann alles gut werden.
Maiks Jacke hing Selina fast bis zu den Knien, und sie hatte die Ärmel vorn umgekrempelt. Sie ging zur Einfahrt hinüber und sah nach Osten, die Straße zurück, auf der wir gekommen waren. In der Dämmerung konnte ich sie nicht mehr genau erkennen, nur ihr Profil erahnen, ihre Haltung. Einen Moment lang dachte ich, sie würde nach Verfolgern Ausschau halten, dann begriff ich, dass sie auf die Sonne wartete. Trotz aller Müdigkeit wirkte sie fast glücklich, und ich musste lächeln.
Die Stille hier war eine gute Stille, vielleicht weil sie nicht vollkommen war. Die Kälte in meinen Beinen zog sich immer weiter zurück.
Inzwischen war ich wirklich überzeugt, dass es richtig war, die Asche ans Meer zu bringen. Verboten, aber richtig. Und wer etwas anderes dachte, konnte uns mal.
Du kriegst deinen Willen, Christoph , dachte ich, niemand sperrt dich zurück unter die Erde. Keine Eltern, keine Gesetze, niemand.
In dem Moment drehte sich Selina zu mir um und nickte, als hätte sie mich gehört. »Der Horizont wird schon rot, gleich ist die Sonne da.«
Ich schlenderte zum Roller hinüber, öffnete das Staufach und tat so, als würde ich nach einem Kaugummi suchen. Dabei wollte ich nur nach der Asche sehen, mich vergewissern, dass sie noch da war, als könnte sie unterwegs verloren gehen. Lenas und mein Beutel lagen wie schlafend nebeneinander. Vorsichtig strich ich über meinen, nur mit den Fingerkuppen, ohne Nägel, um das Plastik ja nicht zu beschädigen. Lenas Beutel berührte ich nicht, als wäre er verboten. Ein Tabu oder etwas Privates wie ein fremdes Tagebuch. Dreimal prüfte ich, dass nichts von den Beuteln über die Kante ragte, dann schloss ich das Fach wieder und vermied jede Erschütterung. Albern, wenn man bedachte, wie der Roller während der Fahrt durchgeschüttelt wurde.
»Hat jemand ein Feuerzeug?«, fragte Maik.
Ich dachte an eine Zigarette im Sonnenaufgang und wollte auch eine, nur einfach so, und drehte mich um. Dabei klopfte ich auf meine Taschen, obwohl ich wusste, dass sich dort nichts befand.
»Ich rauche nicht«, sagte Selina.
»Im Fach«, rief mir Lena zu, und ich holte es.
»Ich will auch nicht rauchen«, sagte Maik und zog einen zerknitterten Umschlag aus der Gesäßtasche. »Ich will den hier mit euch verbrennen.«
Einen Moment lang starrten wir ihn an, ohne etwas zu sagen. Entschlossen schob er den Unterkiefer vor, und das beruhigte mich. Ohne Brief kein Abschied, ohne Abschied keine Kugel in den Kopf.
Ich dachte an die Waffe und konnte mich nicht erinnern, dass er sie mit in sein Zimmer genommen hatte. Sie musste noch immer in seiner Satteltasche sein, vielleicht unter der Asche, beim Packen hatte ich sie nicht gesehen. Ohne Brief würde er nicht abdrücken, sagte ich mir und nickte.
Mitten auf dem Parkplatz bildeten wir einen Kreis, der mathematisch gesehen natürlich auch
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