Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
doch gesagt.«
»Immer noch?«
»Luft kann man nie genug kriegen.«
»Hey, Alter, ich bin nicht blöd. Party kann man nicht genug kriegen, und Luft ist überall. Du machst da draußen doch mit einer rum. Nackt im Maisfeld.« Er gackerte los und begann zu singen: »Ein Bett im Kornfeld. Lalalala …«
»Jaja.«
»Tschuldige.« Wenn er dicht war, entschuldigte er sich immer.
»Was gibt’s?«
»Wer ist bei dir im Feld?«
»Niemand.«
»Komischer Name.« Er kicherte und entschuldigte sich. »Ist die verheiratet? Oder Lehrerin? Die Schmidt mit den dicken Titten?«
»Hier ist niemand.«
»Echt?«
»Ja.«
»Das dauert lang bei dir.« Was auch immer er damit meinte. Und er sang: »Ein Wichs im Kornfeld. Nee, nee, tschuldige, echt, tschuldige.«
»Was gibt’s?« Wenn ich jetzt auflegte, würde er wieder anrufen. Wieder und wieder. Betrunken entschuldigte er sich nicht nur, sondern war auch penetrant.
»Wann kommst du wieder?«
»Dauert noch.«
»Wie heißt sie noch mal? Nee, tschuldige, nee. Ist okay, wenn du nicht mehr kommst, echt. Wir haben alles im Griff. Aber wir brauchen Klopapier.«
»Im Regal rechts neben der Dusche ist noch welches.«
»Die sind alle …«
»Alle? Das waren mindestens fünf Rollen.«
»Alle … alle durchgeweicht.« Er kicherte los. »Tschuldigung.«
»Dann müsst ihr neues kaufen.« Darüber, warum sie durchweicht waren, wollte ich nicht nachdenken, nicht jetzt.
»Aber ich brauch’s jetzt. Jetzt sofort.«
»Kackst du gerade?«
Er ließ das Handy fallen, ich hörte es am Boden aufschlagen und ihn kichern. Was war ich froh, nicht auf der Party zu sein. Das Klopapier war mir egal, und ich wollte auch nicht wissen, was noch alles durchweicht war. Ob Knolle vielleicht noch immer in der Sintdusche lag und wer mit wem in meinem Bett oder in Pias oder dem meiner Eltern. Solange noch jemand auf dem Klo saß, stand das Haus noch. Alles andere kümmerte mich nicht.
»Tschuldigung.« Ralph hatte das Handy wieder aufgenommen. »Bringst du Klopapier mit?«
»Nimm die Küchenrolle. Oder Taschentücher.«
»Küchenrolle?« Eine Pause. »Küchenrolle, klar! Du bist ein Genie.« Noch eine Pause. »Aber wie heißt sie jetzt?«
»Küchenrolle.«
»Tschuldigung.« Er kicherte, im Hintergrund ging die Spülung. Und dann wurde ich einfach weggedrückt, und es herrschte Stille.
Ich schüttelte den Kopf und suchte mir endlich auch einen Baum gleich hinter dem Eingang zum Lehrpfad. Selina wirkte neidisch, aber sie wollte bis zur nächsten richtigen Toilette aushalten. Lena auch, aber als ich erleichtert zurückkam, stapfte sie doch in den Wald. Typisch Mädchen ging sie deutlich weiter hinein als wir und verschwand hinter dichtem Unterholz.
»Kannst du eigentlich auch fahren?«, fragte mich Selina und nickte in Richtung Roller. Der Schlüssel steckte, es wäre leicht, jetzt zu dritt davonzudüsen und Lena einfach im Wald zurückzulassen. War das die eigentliche Frage gewesen? An Selinas Gesicht war nichts abzulesen, es wirkte beinahe unbeteiligt, doch der Blick war nachdrücklich.
»Nein«, sagte ich ebenso nachdrücklich. Ich hatte keinen Führerschein und war vor Jahren nur ein paar Male mit Christophs hochfrisiertem Kindermotorrad über die Felder gebrettert, mit bestimmt vierzig Sachen über Traktorfurchen und Mäuselöcher hinweg und um eingebildete Slalomstangen herum, bis wir stürzten und uns lachend überschlugen. Bis sich Christoph den Knöchel brach und niemand mehr lachte und seine Mutter das gemeingefährliche Spielzeug verschrottete und es als idiotische Männeridee beschimpfte. Irgendwie würde ich schon fahren können, auch wenn ich nicht wusste, wie man startete und ausprobieren musste, wo Gas und Bremse lagen. Doch ich wollte Lena nicht zurücklassen. Das wäre Verrat, und ohne sie wären wir überhaupt nicht hier und Christoph noch immer unter der Erde.
»Schade.« Selina schürzte die Lippen. »Ich auch nicht. Dann müssen die beiden wohl durchfahren, und wir können uns nicht abwechseln.«
»Das geht schon.« Maik zeigte ein lässiges Lächeln. Ein Lächeln, mit dem man sonst Mädchen angrub. Das versuchte er hier hoffentlich nicht – sie war Christophs Freundin, und wir fuhren seine Asche ans Meer.
»Gut.« Selina nickte nur kurz und ohne zu lächeln, und ich war beruhigt.
Schweigend warteten wir auf Lena, ich schlüpfte in die engen Gummistiefel, und dann machten wir uns wieder auf den Weg, die aufgehende Sonne im Rücken. Ich legte die Hände auf Lenas Hüften.
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