Vier Fäuste für ein blaues Auge: Wie der Wilde Westen nach Deutschland kam (German Edition)
gelassen, durch den Sand geschleudert oder fielen zusammen mit Cyrus vom Wasserturm acht Meter in die Tiefe.
Der hat immer super aufgepasst auf die Revolver.
Ich auch.
Ja, weil du ihm eigene gekauft hast.
Ist das jetzt ein Vorwurf?
Nein, das fand ich gut. Sehr lobenswert.
Danke.
Einen der alten Stuntrevolver besitze ich tatsächlich noch. Die Klappe an der Trommel ist mit Tesafilm festgeklebt, und der Patronenausstoß ist irgendwann einfach abgefallen. Mehrmals pro Woche mussten alle Schrauben nachgezogen werden, da sie sich bei der hohen Beanspruchung schnell lockerten und dann entweder beim Spannen blockierten oder der Colt beim Schießen einfach auseinanderfiel. Allerdings lässt sich der alte Colt ohne den Ausstoß leichter über den Finger drehen, weil die Gewichtung jetzt ausgewogener ist.
Ich weiß nicht, wie viele Stunden wir insgesamt geübt hatten, die Waffen wie Terence Hill aus dem Holster über den Finger zu wirbeln und nach ein paar Runden wieder hineinflutschen zu lassen. Ich kann das heute noch recht gut und durfte vor ein paar Jahren sogar zwei Schauspieler für eine Westernparodie auf ProSieben darin unterrichten. Wer des Internets kundig ist, findet auf YouTube unseren Videoclip zu »The St. John Song«, in dem ich nach über zwanzig Jahren noch einmal die alten Klamotten und die Ausrüstung herausgekramt und mich im wahrsten Sinne des Wortes hineingeschossen habe. Dort sieht man meinen Bruder Nico und mich die Colts noch einmal so drehen, wie wir es damals in No Name City geübt haben. Unterschnitten wird das ganze effektvollerweise mit Filmausschnitten der beiden Schauspieler, denen ich die Colt-Dreh-Stunden gab.
Eine weitere Spielart war es, sich eine Blechtasse auf den Handrücken zu stellen und dann mit exakt dieser Hand so schnell den Colt zu ziehen, dass der Lauf noch die Tasse anstieß, bevor sie ganz zu Boden fiel. Wer den Trick heraushatte (und natürlich war es einer, und nein, ich verrat’s nicht), der konnte die Besucher damit mächtig beeindrucken.
Die Platzpatronen wurden meines Wissens immer in Polen bestellt, weil sie deutlich lauter waren und einen hübsch sichtbaren Feuerstrahl abgaben, den man sogar am helllichten Tag noch gut sehen konnte. Ausgegeben wurden sie von Sheriff Willie, der sehr genau darauf achtete, wer sich wie viele einsteckte. Denn natürlich ging das bei so vielen Shows mächtig ins Geld.
Er selbst hatte ein Doppelholster, zwei silberne Colts mit langem Lauf und eine Schrotflinte, mit der er zum Finale der Show aus dem Sheriff’s Office walkte und einen der Banditen quer über die Mainstreet pustete.
Nun hatte aber auch einer der Bankräuber eine Schrotflinte, sogar mit abgesägtem Lauf. Diese machte ebenfalls ganz schön Radau, und das schien den Willi irgendwie zu wurmen. Also überlegte und experimentierte er daraufhin mit verschiedensten Materialien und Stopftechniken, um wiederum seine Flinte lauter rummsen zu lassen als die seines Gegners. Das ließ dieser natürlich nicht auf sich sitzen und begann ebenfalls herumzuprobieren. Zum Einsatz kamen Watte, Schwarzpulver, Taschentücher, mehr Schwarzpulver, trockene und nasse Kugeln aus Küchenrolle oder Klopapier und noch viel, viel mehr Schwarzpulver. Und irgendwie schaukelte sich im Laufe der Tage, Wochen und Monate eine Art Wettbewerb hoch. Bis zu diesem einen denkwürdigen Tag im August …
Du warst da ja gar nicht dabei, oder Heinz?
Nein, ihr habt’s mir nur erzählt, aber ich hab gar nicht gewusst, ob ich lachen oder alle sauber zusammenscheißen soll. Was da alles hätt’ passieren können!
Ich erinnere mich, dass du Tränen gelacht hast.
Ich erinnere mich, dass ich euch zusammengeschissen hab.
Lachend.
Vermutlich.
Wieder einmal war es Zeit für die Stuntshow, wieder einmal landeten wir Bankräuber nacheinander im Sand, wieder einmal schwappte Willi mit der Grazie eines Vanillepuddings aus dem Sheriff’s Office, legte seine Schrotflinte an und betätigte den Abzug.
Der Donnerschlag, der sich daraufhin aus seiner Waffe löste, war so immens, dass ein Aufschrei durch die Zuschauer ging. Meine Ohren gaben auf und hängten für die nächsten Stunden ein »out of order«-Schild nach draußen, ebenso wie die von Long John, Frankie und allen anderen Menschen im Umfeld.
Am schlechtesten aber ging es einem Bankräuber namens Tex, der steif wie ein Besenstiel die Mainstreet etwa 20 Meter weiter hinunter stand, neben sich starrte und kalkweiß im Gesicht war. Dazu muss man dringend
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