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Vier Fäuste für ein blaues Auge: Wie der Wilde Westen nach Deutschland kam (German Edition)

Vier Fäuste für ein blaues Auge: Wie der Wilde Westen nach Deutschland kam (German Edition)

Titel: Vier Fäuste für ein blaues Auge: Wie der Wilde Westen nach Deutschland kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis , Heinz J. Bründl
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ich natürlich sofort große Ohren. Allerdings war er kein Engländer, sondern Schotte.
    Das war ihm immer wichtig.
    Ja, und wie.
    Er kam zu mir in den Saloon, als der noch in Ising stand und No Name City noch nicht einmal als Idee existierte. Und das Erste, was er mir mitteilte, war, dass er ein Alkoholproblem habe. Ich fand das auf der einen Seite sehr fair, mir das sofort zu sagen. Auf der anderen Seite dachte ich mir, na ja, »Saloon« und »Wilder Westen«, irgendwie passt das ja sogar ganz gut. Im Endeffekt war er der einzige der Angestellten ohne Alkoholverbot, weil es bei ihm einfach keinen Sinn gemacht hätte. Wenn der Jim nüchtern war, zitterte er so sehr, dass er keine Taste traf.
    Ich kann mich an Tage erinnern, wo er nicht einmal das Klavier getroffen hätte.
    Da war er aber nicht mehr nüchtern.
    Er war auf jeden Fall ein gottbegnadeter Musiker und hatte in den USA auch schon mit richtigen Größen auf der Bühne gestanden. Aber dann muss irgendetwas vorgefallen sein, denn es war schlagartig vorbei mit der Karriere.
    Vielleicht hat ihn jemand als Engländer bezeichnet.
    Das wäre eine Erklärung, ja.
    Auf alle Fälle landete er dann über verschlungene Wege in Deutschland. Zunächst spielte er für mich auf dem Council in Ising. Und da war es auch nicht immer einfach. Irgendwann kam zum Beispiel mal die Wirtin von der Pension, in der ich viele Leute untergebracht hatte, zu mir und meinte, sie sei mir ja wirklich dankbar, denn durch mich sei sie über Wochen hinweg ausgebucht, aber sie habe nur eine einzige Bitte: »Bitte, Herr Bründl, ich bitte Sie inständig, entfernen Sie den Schotten.«
    Ich weiß gar nicht mehr, was sie dann alles aufgezählt hat. Aber irgendwas war mit seinen Stiefeln … ach ja, der Matsch. Auf der Isinger Mainstreet stand man eigentlich immer knöcheltief im Schlamm, und der Jimmy kam nachts nach Hause in sein Zimmer und warf regelmäßig seine Stiefel an die Wand. Die Rauhputzwand war übersät mit Batzen aus getrocknetem Schlamm. Ich hab nie verstanden, warum er das eigentlich gemacht hat.
    Vielleicht irgendein schottisches Ritual?
    Ich glaub, er war einfach wütend, und das musste dann raus.
    Stimmt, wenn man ihm Whiskey gegeben hat, ist er immer durchgedreht …
    Da musste man wirklich aufpassen. Bier ging einigermaßen, aber bei Whiskey wurde er schnell aggressiv. Aber wir wussten das ja, und dann haben wir immer aufgepasst. Meistens ging es gut.
    Ich stellte ihn schließlich auch in No Name City ein. So einen Typen lässt man nicht mehr gehen. Er hatte ein eigenes Klavier, und das Ding war genauso speziell wie er selbst. Weiße Tasten hatte es im Grunde nur bis zur Hälfte der Klaviatur, weil der Mississippi Jim immer seine brennenden Zigarette auf die Tasten legte. Die rechten Tasten waren schwarz verbrannt und je weiter nach links es ging, desto heller wurden sie. Es klingt jetzt komisch in dem Zusammenhang, aber er passte schon auf sein Klavier auf und stimmte es auch immer wieder selbst nach.
    Er war ja eigentlich Klavierstimmer von Beruf.
    Ja, und er war richtig gut in dem Job.
    Er hatte immer den Stimmschlüssel neben dem Klavier liegen und stimmte es manchmal während dem Spielen nach Gehör mit einer Hand nach. So was hab ich seitdem nie wieder gesehen.
    Sein uraltes Piano war genauso wie er selbst ein faszinierendes Original. Es hatte auch irgendeine spezielle Bauweise, mit diesen vielen Stangen …
    Meinst du den »Birdcage?«
    Ja, genau, lauter vertikale Stangen.
    Da ist ein altes Dämpfersystem, bei dem die Dämpfer oben über den Hämmern liegen und nicht unten. Sieht wirklich aus wie ein Vogelkäfig.
    Das Klavier war wie er selbst. Sah ramponiert aus, lief aber tadellos.
    Wenn der Jimmy gut in Fahrt war, tanzten die Leute auf den Tischen. Allein mit seinem Piano konnte er die Leute so mitreißen wie eine ganze Country & Western-Band.
    Problematisch wurde es nur, wenn er sein Alkoholquantum überschritten hatte. Dann schlug die Genialität um in Aggression. Und das war dann immer der Moment, wo man ihn schleunigst entfernen musste. Er schimpfte dann über alles Mögliche und verfluchte die Leute sowohl persönlich als auch als Kollektiv – allerdings auf Schottisch, und das hat dann Gott sei Dank kaum einer verstanden. Es war wirklich wichtig, dass man ab einer bestimmten Uhrzeit immer mal wieder im Saloon vorbeischaute. Solange man das Klavier hörte, war alles gut. War aber kein Klavier zu vernehmen, sondern eine rauhe, lallende Stimme und vereinzelte

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