Vier Frauen und ein Mord
Frau von einigen Sechzig mit eisengrauem Haar und einem energischen Kinn.
»Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Mrs Oliver«, sagte sie. »Ich vermute, dass Sie es nicht leiden können, wenn Leute über Ihre Bücher sprechen, aber mir waren Sie seit Jahren ein ungeheurer Trost – und besonders seit ich so unbeweglich bin.«
»Das ist sehr lieb von Ihnen«, sagte Mrs Oliver verlegen und verschlang ihre Hände wie ein Schulmädchen. »Oh, das ist Monsieur Poirot, ein alter Freund von mir. Wir haben uns zufällig gerade vor Ihrem Hause getroffen. Genaugenommen habe ich ihn mit einem Apfelbutzen getroffen. Wie Wilhelm Tell, bloß anders herum.«
»Guten Tag, Monsieur Poirot. – Robin!«
»Ja, Madre?«
»Hol was zu trinken. Wo sind die Zigaretten?«
»Dort auf dem Tisch.«
Mrs Upward fragte: »Sind Sie auch Schriftsteller, Monsieur Poirot?«
»O nein«, sagte Mrs Oliver. »Er ist Detektiv. Wissen Sie, vom Sherlock-Holmes-Typ. Und er ist hergekommen, um einen Mord aufzuklären.«
Man hörte das leise Klirren eines zerbrochenen Glases. Mrs Upward sagte scharf: »Sei vorsichtig, Robin.« Zu Poirot sagte sie: »Das ist aber sehr interessant, Monsieur Poirot.«
»Also hat Maureen Summerhayes Recht gehabt«, rief Robin. »Sie hat mir eine lange, wirre Geschichte erzählt, dass sie einen Detektiv im Hause habe. Sie schien es schrecklich komisch zu finden. Aber in Wirklichkeit ist es ganz ernst, nicht wahr?«
»Natürlich ist es ernst«, erwiderte Mrs Oliver. »Wir haben einen Verbrecher mitten unter uns.«
»Ja, aber hören Sie mal, wer ist denn ermordet worden? Oder ist es jemand, den man ausgegraben hat, und alles ist schrecklich geheim?«
»Es ist nicht geheim«, erklärte Poirot. »Den Mord kennen Sie alle.«
»Mrs McSowieso – eine Putzfrau – im Herbst«, sagte Mrs Oliver.
»Ach!« Robin Upwards Stimme klang enttäuscht. »Aber das ist doch längst erledigt.«
»Es ist keineswegs erledigt«, sagte Mrs Oliver. »Man hat den Falschen verhaftet, und man wird ihn hinrichten, wenn Monsieur Poirot nicht rechtzeitig den wirklichen Mörder findet. Es ist alles furchtbar aufregend.«
Robin verteilte die Gläser.
»White Lady für dich, Madre.«
»Danke, mein lieber Junge.«
Poirot runzelte leicht die Brauen. Robin reichte auch Mrs Oliver und ihm ein Glas.
»Nun«, sagte Robin, »auf das Wohl des Verbrechers.«
Er trank.
»Sie hat hier gearbeitet«, sagte er.
»Mrs McGinty?«, fragte Mrs Oliver.
»Ja. Nicht wahr, Madre?«
»Hier gearbeitet? Sie kam einen Tag in der Woche.«
»Und manchmal zusätzlich an einem Nachmittag.«
»Wie war sie?«, fragte Mrs Oliver.
»Schrecklich ehrbar«, meinte Robin. »Und so ordentlich, dass sie einen verrückt machte. Sie hatte eine grässliche Art, alles zu ordnen und Dinge in Schubladen zu stecken, sodass man nie ahnen konnte, wo sie waren.«
Mrs Upward sagte mit grimmigem Humor:
»Wenn nicht wenigstens einmal in der Woche jemand Ordnung machte, könnte man sich in diesem kleinen Haus bald nicht mehr bewegen.«
»Ich weiß, Madre, ich weiß. Aber wenn man die Sachen nicht lässt, wohin ich sie lege, kann ich einfach nicht arbeiten. Meine Notizen kommen dann völlig in Unordnung.«
»Es ist lästig, wenn man so hilflos ist wie ich«, sagte Mrs Upward. »Wir haben ein treues, altes Mädchen, aber sie kann eben nur noch ein bisschen kochen.«
»Was haben Sie denn?«, fragte Mrs Oliver. »Arthritis?«
»Irgendeine Form davon. Ich fürchte, ich werde bald eine ständige Pflegerin und Gesellschafterin brauchen. Sehr unangenehm. Ich bin gern unabhängig.«
»Aber, Liebste«, sagte Robin. »Reg dich nicht auf.«
Er tätschelte ihren Arm.
Sie lächelte ihn mit plötzlicher Zärtlichkeit an.
»Robin ist so gut wie eine Tochter zu mir«, sagte sie. »Er macht alles – und denkt an alles. Niemand könnte rücksichtsvoller sein.«
Sie lächelten einander zu.
Hercule Poirot stand auf.
»Leider«, sagte er, »muss ich jetzt gehen. Ich habe noch einen Besuch zu machen und muss den entsprechenden Zug erreichen. Madame, ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft. Mr Upward, ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihr Stück.«
»Und Ihnen viel Erfolg mit Ihrem Mord«, sagte Mrs Oliver.
»Ist das wirklich ernst, Monsieur Poirot?«, fragte Robin Upward. »Oder ist alles bloß ein Spaß?«
»Natürlich ist es kein Spaß«, bekräftigte Mrs Oliver. »Es ist todernst. Er will mir nicht sagen, wer der Mörder ist, aber er weiß es, nicht wahr?«
»Nein, nein, Madame.«
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