Vier Frauen und ein Mord
Wetherby schien nicht beeindruckt.
Er sagte nur: »Aha«, und drehte sich um, um seinen Mantel aufzuhängen.
»Er ist gekommen, um sich nach Mrs McGinty zu erkundigen.«
Mr Wetherby blieb eine Sekunde lang still stehen, dann hängte er seinen Mantel an den Haken.
»Das erscheint mir etwas merkwürdig«, meinte er. »Die Frau ist vor ein paar Monaten gestorben, und obgleich sie hier gearbeitet hat, wissen wir nichts über sie oder ihre Familie. Hätten wir etwas gewusst, dann hätten wir es außerdem bereits der Polizei mitgeteilt.«
Sein Ton klang endgültig. Er blickte auf die Uhr.
»Ich vermute, das Mittagessen wird in einer Viertelstunde fertig sein.«
»Ich fürchte, es wird heute ein bisschen später werden.«
Mr Wetherby zog seine Brauen wieder hoch.
»Wirklich? Darf ich fragen, warum?«
»Frieda hatte sehr viel zu tun.«
»Meine liebe Deirdre, ich erinnere dich nicht gern daran, aber die Aufgabe, den Haushalt zu führen, obliegt dir. Ich würde ein bisschen mehr Pünktlichkeit sehr schätzen.«
Poirot öffnete die Haustür und ging hinaus. Er blickte über die Schulter zurück.
Kalte Abneigung lag in dem Blick, den Mr Wetherby seiner Stieftochter schenkte. Und in den Augen, die seinen Blick erwiderten, lag blanker Hass.
10
P oirot verschob seinen dritten Besuch bis nach dem Mittagessen. Zu Mittag gab es einen ungenügend geschmorten Ochsenschwanz, wässerige Kartoffeln und etwas, das Maureen in ihrem Optimismus für Pfannkuchen hielt.
Poirot ging langsam den Hügel hinauf. Gleich würde zu seiner Rechten Laburnums auftauchen, zwei Landhäuschen, aus denen man eines gemacht und dem modernen Geschmack entsprechend umgebaut hatte. Hier wohnten Mrs Upward und jener viel versprechende junge Bühnenautor, Robin Upward. Poirot blieb einen Augenblick am Gartentor stehen, um sich über den Schnurrbart zu streichen. Während er dies tat, kam ein Wagen langsam hügelabwärts, und das Kerngehäuse eines Apfels traf ihn an der Wange.
Poirot ließ einen empörten Ausruf hören. Das Auto blieb stehen, und ein Kopf wurde aus dem Fenster gestreckt.
»Entschuldigen Sie. Habe ich Sie getroffen?«
Poirot wollte antworten, aber dann stutzte er überrascht. Er sah das vornehm geschnittene Gesicht, die breite Stirn, die unordentlichen grauen Haare, und eine Saite seiner Erinnerung wurde angeschlagen. Auch das Kerngehäuse des Apfels half seinem Gedächtnis auf die Sprünge.
»Aber das ist doch Mrs Oliver«, rief er aus.
Es war wirklich die berühmte Kriminalschriftstellerin.
»Nanu, da ist ja Monsieur Poirot!«, rief sie, nicht weniger überrascht, und versuchte, sich aus dem Wagen herauszuwinden. Es war ein kleines Auto, und Mrs Oliver eine sehr stattliche Frau. Poirot eilte, ihr zu helfen.
Indem sie erklärend murmelte: »Steif von der langen Fahrt«, landete Mrs Oliver plötzlich auf der Straße. Es war wie ein Vulkanausbruch. Große Mengen von Äpfeln quollen hervor und rollten fröhlich hügelabwärts.
»Die Tüte ist geplatzt«, erklärte Mrs Oliver.
Sie wischte ein paar verirrte Apfelstückchen von ihrem üppigen Busen und schüttelte sich dann wie ein großer Neufundländer. Der letzte Apfel, der sich in den Falten ihres Kleides verborgen hatte, lief seinen Geschwistern nach.
»Schade, dass die Tüte geplatzt ist«, sagte Mrs Oliver. »Nun, wie geht es Ihnen, Monsieur Poirot? Sie wohnen doch nicht etwa hier, oder? Nein, bestimmt nicht. Dann ist es vermutlich ein Mord? Doch nicht meine Gastgeberin?«
»Wer ist Ihre Gastgeberin?«
»Dort drin«, sagte Mrs Oliver und deutete mit dem Kopf. »Das heißt, wenn das Haus dort Laburnums heißt, auf halber Höhe des Hügels, zur Linken, gleich nach der Kirche. Ja, das muss es sein. Wie ist sie?«
»Sie kennen sie nicht?«
»Nein, ich bin sozusagen beruflich hergekommen. Aus einem meiner Bücher soll ein Theaterstück werden – von Robin Upward. Wir sollen gemeinsam daran arbeiten.«
»Meine Glückwünsche, Madame.«
»Es ist noch lange nicht soweit«, sagte Mrs Oliver. »Bisher war es der reinste Horror. Wie ich mich jemals darauf einlassen konnte, weiß ich nicht. Meine Bücher bringen mir genug Geld – das heißt, die Blutsauger von der Steuer nehmen mir das meiste wieder weg, und wenn ich mehr verdiente, würden sie noch mehr nehmen. Also überarbeite ich mich nicht. Aber Sie haben keine Ahnung, wie man leidet, wenn man Ihnen Ihre Personen nimmt und sie Sachen sagen lässt, die sie nie sagen, und Dinge tun, die sie nie tun würden. Und wenn man
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