Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
Rest der ersten Halbzeit an. Und auch noch die ganze zweite Halbzeit. Es bleibt beim null zu null. Er zappt sich zurück durch die Sportsender. Dann durch die Spielfilmsender. Dann durch die Nachrichtensender. Er geht in den Garten. Es ist kalt. Er spürt das feuchte Gras unter den dünnen Pantoffelsohlen. Kurz vergnügt er sich damit, den Dampf seines Atems zu betrachten. Der Wind muss von Süden her wehen, denn er hört in der Ferne den Zug der Sarmiento-Linie. Ihn fröstelt, und er beschließt, wieder reinzugehen. Sonst holt er sich noch eine Grippe.
Ob er es mal mit einem Glas lauwarme Milch versuchen soll? Er hat gehört, es soll beim Einschlafen helfen. Nein. Er mag keine Milch. Schon gar keine lauwarme. Er sieht auf die Uhr an der Wand. Viertel vor sechs. Er schaltet den Fernseher aus. Bevor er die Treppe hinaufgeht, um sich wieder ins Bett zu legen, zieht er seine Pantoffeln aus, damit Mariel ihn nicht hört.
47
Cristo drückt den Kreuzknopf des Joysticks, damit seine Nummer acht Molinas Stürmer den Ball abnimmt. Geschafft. Er startet einen Angriff. Wieder drückt er den Kreuzknopf, um in die Tiefe zu passen. Dann dreht er an der Bewegungstaste, und sein Stürmer schlägt einen Haken. Molinas Männchen läuft ins Leere. Im Hintergrund hört er, wie die anderen Beifall klatschen und ihn anfeuern. Wieder drückt er den Kreuzknopf, diesmal um eine Flanke zu schlagen. Der Stärkebalken zeigt ihm an, dass sie präzise ist – Cristo neigt dazu, den Knopf zu lang zu drücken, so dass die Flanken zu nah an den zweiten Pfosten segeln – und in der Nähe des Elfmeterpunkts landen wird. Blitzschnell streift er über die R1-Taste, um den Empfänger der Flanke zu wählen. Sein größter Stürmer springt hoch und köpft übers Tor.
»Gut gemacht, Cristo«, beglückwünscht ihn Feo, der hinter ihm steht.
Cristo schüttelt den Kopf. Ihm fehlt die Zeit, um noch den Ausgleich zu schießen. Molina, der unbedingt gewinnen will, lässt den Ball in den eigenen Reihen zirkulieren, um in den letzten Sekunden ja nichts mehr anbrennen zu lassen.
»Sei nicht so ein Schisser«, provoziert ihn Cristo, aber er weiß, dass er ihn damit nicht aus der Ruhe bringen kann.
»Uh, guckt euch mal den Schlitten an, der gerade vorgefahren ist«, sagt Feo.
In diesem Moment beendet der Schiedsrichter die Partie, also legt Cristo den Joystick beiseite und dreht sich um. Ein marineblauer Audi Sport, bei dem einem die Spucke wegbleibt. Am Steuer sitzt ein Typ, der aussieht wie ein Arschloch. Hellbrauner Anzug, himmelblaue Krawatte, weißes Hemd, Aktenkoffer. Chamaco eilt hinaus, um die Schlüssel entgegenzunehmen, aber der Kerl schüttelt den Kopf, lässt sich stattdessen den Weg ins Büro zeigen, kommt auf sie zu. Cristo stellt sich an den Empfang. Ob das ein Steuerprüfer ist? Jemand von der Gemeindeverwaltung? Wenn ja, dann gute Nacht. Mann, Ruso! Er hat’s ihm so oft gesagt. So oft gesagt, dass er bald mal seine Bücher in Ordnung bringen muss! Dieser Idiot! Wann wollte er überhaupt wiederkommen?
»Guten Tag.«
»Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«
»Ist Ruso da?«
Cristo spürt, wie ihn eine Welle der Erleichterung durchläuft. Wenn der Typ so nach seinem Chef fragt, ist er garantiert kein Steuerfahnder. Und selbst wenn, wäre er harmlos. Niemand, der Ruso Ruso nennt, wünscht ihm irgendwas Böses.
»Er muss gleich kommen. Können wir dir irgendwie weiterhelfen?«
»Ich bin Mauricio. Ein Freund von ihm.«
Wieder schrillen bei Cristo die Alarmglocken. Es gibt also doch jemanden, der Ruso Ruso nennt und fähig ist, ihm etwas Böses zu wünschen. Nervös wirft er einen Blick zum Computerbildschirm, wo die blaue Homepage von Enge Deckung zu sehen ist. Mauricio sieht ebenfalls in diese Richtung. Obwohl Cristo blitzschnell am Computer ist und den Monitor ausschaltet, weiß er genau, dass dieser Mauricio es gesehen hat.
»Könnte eine Weile dauern. Kann ich ihm was ausrichten?«, fragt Cristo und ärgert sich insgeheim über sich selbst. Idiot! Je natürlicher er wirken will, desto unnatürlicher verhält er sich. An den Äuglein des Anwalts kann er ablesen, dass er ganz genau gesehen hat, was da stand. Und ganz genau gesehen hat er auch die Angestellten der Waschanlage, wie sie mit der PlayStation gespielt haben. Cristo hat keine Angst, dass er es Ruso sofort petzt. Ruso will ja selber spielen, wenn er wiederkommt. Er hat Angst, dass dieser Mauricio es ihm irgendwann aufs Butterbrot schmiert. Wenn Ruso Geld braucht oder so.
»Ich
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