Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
gern. Und was hat es genützt? Cristina hat es einmal schön auf den Punkt gebracht, nach ihrem Streit Nummer zweitausendfünfhundert: »Ich war sehr glücklich mit dir, Fernando. Aber die Betonung liegt auf › war ‹ . Wenn wir nicht aufpassen, machen wir auch noch unsere schönen Erinnerungen kaputt.« Schlau ist sie, das muss er ihr lassen. Und mutig. Fernando hätte nie den ersten Schritt gemacht.
Fernando fragt sich, was er sagen soll. Er will nicht, dass sein Freund sich weiter solche Sorgen macht.
»Bei mir war das was anderes, Ruso.«
»Wieso?«
»War eben so. Ihr habt einfach eine schlechte Phase. Das geht wieder vorbei.«
Sie sehen sich kurz in die Augen, und Fernando erkennt in Rusos Blick den Wunsch, ihm zu glauben.
»Das ist wie eine Mannschaft, die eine Scheißsaison spielt«, erklärt Fernando. »Weil neue Spieler integriert werden müssen, weil der Trainer am Anfang nicht den richtigen Ton trifft. Irgendwann gibt es sich wieder.«
»Bist du sicher?«
Ach, Ruso. Wenn in diesem verfluchten Leben doch nur irgendetwas sicher wäre.
»Ja, es wird sich schon alles wieder einrenken.«
Sie kehren zur Waschanlage zurück. Zu ihrer Überraschung steht da ein Auto. Chamaco schäumt es gerade ein. Sie betreten das Büro. Cristo und Molina liefern sich einen heftigen Kampf. Inter gegen Juventus, zwei zu zwei. Begeistert, dass die Partie so ausgeglichen ist, setzt Ruso sich auf einen der Zuschauerstühle und fordert Fernando auf, ebenfalls Platz zu nehmen.
18
In den zwei Wochen nach dem Besuch an Monos Grab geht es Ruso so dreckig wie noch nie. Schon am Todestag selbst fühlt er sich elend, als sie drei schweigend im Nieselregen stehen, in der Hand jeder einen Blumenstrauß, von dem sie nicht wissen, wie sie ihn halten sollen und wie aufs Grab legen. Aber auch in den folgenden Tagen wird es nicht viel besser. Dreimal versucht er Fernando anzurufen, erreicht ihn aber nicht. Er hinterlässt ihm Nachrichten, doch Fernando ruft nicht zurück. Mit Mauricio spricht er nur einmal, wegen der überzogenen Kreditkarte und der Mahnung. Wortgewandt wie immer versichert ihm Mauricio, dass er nichts zu befürchten hat, dass alles unter Kontrolle ist. Mehr nicht. Natürlich ist es gut, dass Mauricio ihn beruhigt, aber als er auflegt, fühlt Ruso eine Leere, vermisst er etwas, weiß aber nicht, was. Und als er es Mónica erzählt, ist es genauso. Dass sie erleichtert seufzt, genügt ihm nicht. Sicher, es ist gut, dass Mónica so reagiert. Und gut ist auch, dass sie lächelt, hoffnungsvoll lächelt, wenn Ruso abends die Tageseinnahmen auf den Esstisch legt, und sie sieht, dass es von Tag zu Tag aufwärts geht. Es ist gut, dass sie es laut ausspricht, und es ist gut, dass er es ihr bestätigen kann, ja, es geht von Tag zu Tag besser.
Es ist gut, aber es genügt nicht. Es ist nicht gut, dass Mauricio sich nie nach Fernando erkundigt. Es ist nicht gut, dass er so zufrieden ist mit sich und der Welt, mit seinem Leben, so, wie es ist. Und er selbst? Verhält er sich denn so anders? Eher nicht. Und so kommt es, dass Ruso eines Morgens, an einem Mittwoch Ende September, als er gerade die Mitre entlanggeht, schlagartig begreift, dass die Freundschaft mit Fernando zu zerbrechen droht. Aus reiner Nachlässigkeit. Also biegt er in die Monteverde ein, nimmt den 238er in Richtung Morón und kauft ein Ticket nach Santiago del Estero. Für den Bus um acht.
19
Die Fahrt vergeht wie im Nu, weil er schläft wie ein Engel. Als er morgens in Santiago del Estero ankommt, fragt Ruso sich zum Stadion von Atlético Mitre durch. Am Eingangstor kontrolliert keiner, also stellt er sich auf die einzige Tribüne und verfolgt gemeinsam mit ein paar Familienangehörigen und Neugierigen das Training.
Trainer ist immer noch Bermúdez. Er weist seine Schützlinge an, dreimal ums Spielfeld zu traben, verteilt Leibchen und stellt sich an den Rand. Pittilanga kriegt ein gelbes. Auf die Entfernung sieht es so aus, als hätte er zugenommen. Nicht viel, zwei Kilo vielleicht. Er ist immer noch groß wie ein Schrank, aber er wirkt ungelenker, gebeugter, fülliger um die Hüften, weniger energisch. Am Ball ist er noch so wie vor einem Jahr, als sie ihn zum ersten Mal gesehen haben. Er geht mutig ran. Weiß, wie er seine Arme einsetzen, den Ball abschirmen muss, mit dem Rücken zum Gegner. Aber wenn es gilt, den Kopf zu heben, das Tor zu suchen, einen Mitspieler anzuspielen, hat er keinen Plan. Was in der Mannschaft nicht weiter auffällt. Die anderen sind
Weitere Kostenlose Bücher