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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Blatter
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herumlaborierteund dabei gegen das Schokoladeverbot verstoßen hatte… wenn eine wegen der ungerechten Bewertung weinte vor Wut. Freundinnen wüssten immer, worum es ging. Iris und Paul sollten selbst einmal auf den Zehnmeter-Turm klettern und schlotternd vor Angst dort oben auf der Plattform stehen müssen. Emily wagte die schwierigsten Sprünge aus dieser Höhe. Mit einem Lächeln, mit einem riesigen Selbstbewusstsein, das eine Pusteblume war.
    Wer fütterte die Katze, wenn die Eltern weiterhin ausblieben? Man musste dem Kater die Schnauze mit sanfter Gewalt öffnen und ihn zwingen, die lindgrüne Asthmatablette zu schlucken. Emily überlegte, Tom eine SMS zu schicken. Der große Bruder war ihr Vertrauter.
    Rucksack und Taschen standen gepackt neben der Tür.
    Um 11Uhr wurde Emily mit dem Auto abgeholt, ein Vater, ein zuverlässiger Vater, brachte die Mädchen zum Flughafen.
    Emily trug ein T-Shirt von Borem, aber ihr Freund war nicht da, auch über Nacht war er nicht bei ihr geblieben. Sie dachte zum ersten Mal, sein T-Shirt dufte nicht herrlich, sondern verströme einen unangenehmen Geruch; es stank, sie zog es aus.
    Es sei zu warm, viel zu heiß, um vernünftig zu denken oder sogar etwas Vernünftiges zu tun, geschweige denn Sport zu treiben, hatte er dahergeredet, vielmehr sei es das Vernünftigste, Siesta zu halten und jede Tätigkeit zu unterlassen, da sie nur zu einem Schweißausbruch führe. Derart einfältig konnte Borem daherreden, er zog jede Anstrengung ins Lächerliche. Als fürchtete er, beim Schwitzen könnte die Frisur die Form verlieren, auch die Sonnenbrille könnte verrutschen. Emily ärgerte sich, dass sein Geschwafel sie lähmte.
    Wer nichts tut, behauptete Borem, macht nichts falsch.
    Darüber waren sie in Streit geraten.
    Für die Sportlerin war es wichtig, der Hitze nicht bloß zu trotzen, sondern sie zu ignorieren. Klick, die Hitze ist weg. Eine Top-Athletin schafft das. Die Chinesinnen schafften das. Auch Emily hatte keine Schwierigkeiten mit der Temperatur, obwohl sie in den letzten Tagen, als hätte Borem sie infiziert, undiszipliniert war, nicht hundertprozentig motiviert. Sie hatte Trainingsstunden gekürzt, Einheiten geschwänzt, sich gehen lassen, treiben lassen mit dem Ergebnis der Unzufriedenheit, des Unzufriedenseins mit sich selbst.
    Das mittlere Grau, Emilys augenblickliche Verfassung, glich alles aus und machte alles gleich, es machte alles gleich gültig. Gleichgültigkeit war eine schädliche Haltung. Nichts hatte dann eine Bedeutung, war dringlich oder wichtig.
    Wenn dir alles egal ist, hatte sie Borem angefaucht, also, ich würde mir dann gleich die Kugel geben.

LEO ZIMNY TANKTE DEN FIAT BRAVO AUF und gönnte sich die Zeit für einen Kaffee. Dabei kümmerte er sich um die erbeuteten Handys, zwei iPhones, sie waren deaktiviert. Neue Modelle. Er sah sich in der Versuchung, eines davon zu behalten, es für sich abzuzweigen, entschied sich jedoch dagegen. Es wäre dreist. Der Diebstahl könnte sich als Bumerang erweisen. Wiederum könnte er auch dienliche Hinweise bekommen, nützliche Nachrichten, wenn er die beiden Geräte jetzt einschaltete, er hätte dann die Kontrolle über das, was so hereintrudelte, er wäre dann ein Mitglied der Familie, unerwünscht zwar… zuletzt hatte sich ein Mädchen mit quengelnder Stimme gemeldet: Wo steckt ihr denn… ihr lasst mich hängen, lasst mich nicht im Stich, ihr wisst doch, dass…
    Diese weinerliche Emily musste um 11Uhr losfahren, sie wurde abgeholt. Sehr gut. Leo Zimny mochte die Stimme dieses nervigen Mädchens nicht. Mit einem Mal fürchtete er, die schicken iPhones könnten geortet werden, sie könnten seinen Standort verraten, seine Route.
    Er schaltete sie aus.
    Leo war schnell unterwegs. Weder hielt ihn die Mautstelle vor Mailand lange auf, noch bremste ihn am Zoll von Chiasso eine Autoschlange. Die kurvenreiche Fahrt über den großen Sankt Gotthard vermied er, obwohl der Reiz, die gerühmten Fahreigenschaften des Fiat Bravo zu testen, stark war. Er nahm den Tunnel, rollte durch die enge, dicht befahrene Röhre, den Blick auf das Heck des vor ihm fahrenden Wagens geheftet. Ein Audi mit deutschem Kennzeichen. Darin eine Familie, Frau, Mann und Kinder. Seine Wünsche und Illusionen bildeten so etwas wie einen Bodensatz, und Leo sähe es am liebsten, wenn dieser nicht aufgewühlt würde. Doch nun war genau das der Fall, alles aufgewirbelt, das ganze verkorkste Leben. Und zum ersten Mal hatte Leo seinen Job, für die Zwecke der

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