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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Blatter
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gut könnte Ivo gar nichts tun. Alles sein lassen. Keine Anstrengung. Den Dingen ihren Lauf lassen. Es war beklemmend still im Büro. Das Reinigungsset lag neben der Pistole auf dem Tisch. Es roch nach Waffenpflegeöl.
    Verlegen starrte Ivo auf die Wand. Der aufgespießte Zitronenfalter, genauso kam er sich vor. Und die verbliebene Kraft verpuffte beim Vorsatz, die alte Ordnung wieder herstellen zu müssen. Überall lagen Gegenstände herum. Sie jemals wieder in die Hände zu nehmen, kam ihm befremdlich vor. Seltsamerweise schien gar nichts zu fehlen. Alles war noch da, auch der Wandtresor war nicht aufgebrochen worden. Ivo räusperte sich, im Mund hatte sich Speichel gesammelt.
    Inzwischen musste einige Zeit verstrichen sein. Ivo bemerkte das veränderte Licht, die Sonne hatte sich verschoben, so dass sie durch das offene Fenster in sein Büro schien. Geh hinaus, befahl er sich, geh die toten Hunde begraben. Es kostete ihn Kraft, er musste sich überwinden.
    Mit der Absicht, sich nur mit den Dingen zu befassen, die er auch beeinflussen konnte, stakste Ivo über den Vorplatz zum Bootshaus, holte dort Hacke und Schaufel.
    Beim Steg angekommen, bemerkte er gleich den Jutesack im Wasser. Die Gewissheit, dass sich die Welpen darin befanden, traf ihn mit Wucht. Der Scheißkerl hatte sie ertränkt. Ivo stieg unverzüglich ins Wasser und fischte den Sack heraus. In seiner Brust löste sich ein Knoten, ein furchtbarer Schrei explodierte in seiner Kehle. Käme der Mörder nun auf dem Bootssteg daher, legte Ivo ihn glatt um, er würde ihn ohne Gewissensbisse töten. Das ganze Magazin leer ballern. Noch lieber erwürgte er den Schuft. Am allerliebsten spaltete er ihm mit einer Axt den Schädel.
    Das Gewicht von Steinen und kleinen Kadavern machte den Sack schwer. Ivo schleppte ihn an Land. Die dürftigen Körper der Welpen zeichneten sich unter der Jute ab. Es tat weh, ihre Körper zu ertasten. Ivo schluchzte auf, er fluchte, schniefte, begann laut zu weinen. Er wischte die Tränen nicht ab. Den nassen Sack zu öffnen, den zugeschnürten Leichensack, kostete ihn zu viel Überwindung. Wozu auch. Ivo Blume weinte aus Kränkung und Wut und weil ihm gar nichts anderes übrig blieb, als zu weinen. Ivo weinte all die Tränen, die er sich in den letzten Jahren verboten hatte, er weinte hemmungslos, obwohl er wusste, dass Tränen kein Problem lösten.
    Das Prinzip fallender Dominosteine kam ihm in den Sinn. Der Tag schien so aufgestellt zu sein, dass alles zusammenbrechen musste, nachdem der erste Stein einen Stoß erhalten hatte. Der Hundemörder und Ivo selbst mit seinem unbedachten Schuss auf den Sohn hatten den Impuls dafür gegeben. Er hasste diesen Mann und noch heftiger missbilligte er das eigene Fehlverhalten. Es war das Schlimmste. Nie hätte er so etwas für möglich gehalten. Ivo verstand das alles nicht, er wollte es nicht wahrhaben.
    In dem Moment, in dem er die Blutlache im Hundezwinger entdeckte, hatte er dem Bösen direkt ins Auge geblickt, in dieser Schrecksekunde war in seinem Kopf ein Licht angeknipst und sofort wieder ausgelöscht worden. Umhüllt von Finsternis, hatte er die Nerven verloren und auf seinen Sohn geschossen.
    Ivo tat sich schwer mit den Umständen. Doch nichts war wiedergutzumachen, manche Dinge ließen sich eben nicht korrigieren. Ivos Gesicht war verspannt und blass vor Entsetzen und Scham. Viele Jahre hatte er sich an diesem Ort wohlgefühlt, zu Hause, in Sicherheit. Er war an seinem See ein glücklicher Mann gewesen. Ein paar Minuten hatten genügt, das alles in einen Scherbenhaufen zu verwandeln. Er begriff das nicht, es passte nicht in seinen Schädel.

NACH DER TIERÄRZTLICHEN BEHANDLUNG blieb Felix bei Geoff. Er hockte sich zu ihm in den Zwinger, entschlossen, bis zu seiner Genesung nicht von der Seite des Hundes zu weichen.
    Tom fuhr in die Stadt zurück. Er beeilte sich nicht, baute lange Umwege ein, als fürchte er sich vor seinem Schreibzimmer. Vor der Leere. Jara war im Dienst, vor Mitternacht würde er seine Freundin nicht sehen. Er vermisste sie. Endlich zu Hause spülte Tom eine Tasse aus, brühte Kaffee auf. Er setzte sich an den Tisch, trank. Der Kaffee war zu heiß, er blies sorgsam in die Tasse, das sollte ihn ablenken. In seinem Gedächtnis flammten Szenen auf und verglommen wieder. Er konnte den Film nicht steuern und nicht stoppen.
    Tom schaltete sein Handy wieder ein.
    Iris hatte ihn zu erreichen versucht, zweimal.
    Er rief nun zurück.
    Jetzt war ihr Handy deaktiviert.
    Er

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