Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Blatter
Vom Netzwerk:
Clubhaus am Getränkeautomaten frisch gepressten Orangensaft in sein Glas einlaufen lassen.
    Da war sie mit dem Präsidenten hereingekommen.
    He, Mann, grinste Elmar Brink, glotz nicht so.
    Alice, in Shorts und einem knappen Top, hatte den straffen Körper einer ehemaligen Turnerin. Sommersprossen, ein fein gesprenkeltes Band zog sich quer über ihre Nase. Ihre Augen standen leicht schräg. Ein frecher Blick. Die Haare kurz, karottenrot und dicht wie das Fell eines Hundes.
    Leo hätte Alice mit einer Hand hochheben können. Durch die Luft hätte er diese Frau am liebsten gewirbelt und in seinen starken Armen wieder aufgefangen. Sie war Anfang zwanzig wie er, der austrainierte Sportler, schmale Hüften, breite Schultern, ein Riese mit schulterlangem, maisblondem Haar. Natürlich getraute sich Leo nicht, so etwas zu tun. Er hatte große Augen gemacht und den Orangensaft beinahe überlaufen lassen und war dem Spott Elmar Brinks ausgesetzt gewesen. Doch Elmar war ihm egal. Scheiß auf Elmar. Für Leo zählte nur Alice. Sie lachte laut, unterhielt sich kokett mit dem sich aufplusternden Clubpräsidenten. Und als dieser Alice den Sportlern vorstellte, bot sie allen Gummibärchen an. Leo reichte ihr die Hand, nahm ein gelbes Bärchen, steckte es in den Mund. Mit dem Geschmack entfaltete sich das süße Wissen, jetzt der Frau seines Lebens begegnet zu sein. Eben hatte er sie zum ersten Mal berührt, nun griff sie nach seinem Oberarm, als prüfe sie den Bizeps.
    Leo hatte Alice sofort insgeheim eine Liebeserklärung gemacht; einmal mehr war er in den unerquicklichen Zustand gefallen, in dem er alles genau beobachten konnte, seine Zunge aber wie gelähmt schien. Leo Zimny brachte kein Wort heraus. Und ärgerte sich über den aufgeblasenen Elmar Brink, der um Alice herumwedelte und den Charmeur gab.
    Wenn Leo Alice mit dem Daumen über Wangen und Nase strich, wenn er die Hände an ihren kühlen Hals legte, sanft, und ihren Puls fühlte. Wenn er seinen Mund nicht länger als harten Strich spürte. Wenn er ihren zarten Atem wahrnahm. Wenn er mit der Kuppe des Zeigefingers eine Vene auf ihren weißen Unterarmen nachzeichnete. Bei Alice war Leo ein Liebender.
    Die Stadt speicherte Wärme. Das T-Shirt klebte am Leib, der verschlagene Smiley hatte dunkle Flecken, Leo roch den eigenen Schweiß. Auch der kahl rasierte Schädel war feucht, und auf der glatten Oberlippe glaubte er Tröpfchen zu spüren.
    Leos Gedanken waren Zündschnüre; er wusste nicht, wohin sie führten, obwohl sie schon brannten.
    Das Richtige tun.
    Er machte immer wieder denselben Fehler.
    Mit der Zunge fuhr er sich über die Lippen und schmeckte das Salz. Sein Hals war ganz steif, die Muskulatur des Nackens verkrampft. Wenn er den Kopf drehen könnte, wäre ein Knirschen zu hören. Die Nackenstarre war eine Strafe. Leo büßte für die Nacht auf dem Sofa. Es war unbequem, viel zu kurz, er hatte sich die Glieder verrenkt. Leo zwang sich, ruhig durch die Nase zu atmen. Das half meistens, aber heute nicht, die Wärme und die Luftfeuchtigkeit zermürbten ihn, und alle Tatkraft floss wie durch ein kaputtes Ventil ab.
    Er war allein unterwegs. Ein Mann unter vielen. Die Herde war die beste Tarnung. Die Masse. Das hatte Leo schon oft so empfunden. Er lief auf Autopilot. Ringsum Geschmeiß. Zahllose Leiber in Bewegung. Es kümmerte ihn nichts. Diese Menschen bedeuteten ihm nichts. Was sie dachten oder nicht dachten, egal.
    Einzig zwei junge Männer, die hinter der bronzenen Statue auf der Grünanlage beim Kaufhaus Globus Stockkampf übten, verdienten seine Aufmerksamkeit. Aber sie waren Stümper. Leo könnte zu ihnen hingehen und ihnen den Stock wegnehmen und beide verprügeln, sie hätten keine Chance. Doch er zog es vor, sich in den Schatten eines Baumes zurückzuziehen. Man trifft sich immer zweimal im Leben, Alice hatte recht. Trotzdem blieb Leo im Gras sitzen. Ihm war, ein Gift habe alle seine Gelenke bis zur Unbeweglichkeit anschwellen lassen.
    Der Lärm einer Straßenreinigungsmaschine drang in seine Welt ein. Leo hatte ein flaues Gefühl im Magen. Er sollte nicht nur Naschzeug essen. Geleebananen und Fruchtgummi. Farbige Gelatine. Sie hielten den Zuckerpegel hoch, aber sie sättigten nicht. Und er war durstig. Immer wieder vergaß er, genügend zu trinken. Das Gesicht war gerötet und verquollen, die Augen brannten, unter seinem Schädel schien eine Nähmaschine zu rattern, schnelle, feine Stiche, er hörte sich atmen, ein Rasseln, dabei hatte er schon vor Jahren

Weitere Kostenlose Bücher