Vier Tage im August
Mole. Ein paar lautlose Katzen. Verlauste Tauben drängten sich im Schlaf aneinander. Leo musste über seinen Schatten springen, das war ihm klar; einen Mann zu stoppen, seinen Körper mit einem Stich zu verletzen, mit dem Messer tief in seinen Leib einzudringen, erforderte Entschlusskraft und Härte. Er gab keine extremere Handlung, als einen Menschen zutöten. Und um sich inspirieren zu lassen, rief er sich den syrischen Dolch vor Augen. Ein Dolch, der schon einmal zum Töten benutzt worden war, hatte eine unvergleichlich andere Aura als ein Messer, mit dem bloß Orangen geschält wurden. Von dem Dolch ging ein gefährliches Funkeln aus, wenn man das Auge besaß, um es zu erkennen.
TOM WAR MIT EMILY ins Krankenhaus gefahren. Unterwegs hatte er angehalten, um für Iris eine Schildkröte aus hellem Speckstein zu kaufen.
Sie klopften befangen an die Zimmertür, traten ein. Paul starrte zur Decke oder ins Leere. Iris war unruhig, setzte sich ans Bett, stand wieder auf, um ans Fenster zu treten. Tom umarmte seine Mutter und sah auf die Parkanlage hinunter. Ausladende Bäume und ein Ententeich. Auf den Kieswegen waren Spaziergänger auszumachen. Am Himmel drohte ein Schwarm Krähen, die lackschwarzen Vögel näherten sich und wurden größer.
Natürlich war es nicht möglich gewesen, Iris zu trösten. Nach der schlechten Nachricht, die Jara ihr überbracht hatte, fühlte sich Iris schutzlos, knochenlos wie einWeichtier. Auch zweifelte sie an ihrem Wirklichkeitssinn. War das alles geschehen– oder litt sie unter Wahnbildern?
Das blutbefleckte Genua.
Die ausgeraubte Wohnung.
Auch im Nachhinein fand sie keine Erklärung und glaubte, von einer Brandungswelle überrollt worden zu sein. Gut gemeinte Worte wie schreckliches Pech oder Glück im Unglück klangen wie Hohn.
Nach einer zähen Stunde, als Tom und Emily sich verabschiedeten, wirkte Iris ruhig. Sie hatte die Hand um die kleine Schildkröte geschlossen. Es geht, es vergeht schon, sagte sie mit fester Stimme. Aber ihre Augen konnten nicht lügen. Paul, unter der Sedierung der Medikamente, schwieg.
Auf dem Parkplatz rief Emily Ivo an.
Komm, hatte Ivo gesagt.
Felix ist auch dort, er pflegt Geoff, sagte Tom.
Hoffentlich überlebt Geoff die Attacke, wünschte Emily treuherzig: Der Hund muss es schaffen, damit das Böse nicht siegt.
ALS TOM ZWEI STUNDEN SPÄTER nach Hause kam, hatte Jara ihre fantastische kalte Tomatensuppe zubereitet. Vor dem Dienstbeginn brauchte sie eine richtige Mahlzeit.
Sie schöpfte die Suppe in tiefe Teller.
Bevor Jara den Löffel in die Hand nahm, schloss sie die Augen und sprach ein stilles Gebet.
Meine Freundin dankt Gott für eine kalte Tomatensuppe, dachte Tom, so ist sie halt, gottesfürchtig.
Er fühlte Unmut in sich hochsteigen, es reizte ihn, eine spöttische Bemerkung zu machen.
Füllen Engel dir den Kühlschrank auf?
Der Herr persönlich?
Tom hielt sich zurück. Es wäre unfair, Jaras Gläubigkeit als Vorwand zu nehmen, nur um sich abzureagieren und auf etwas einzudreschen, das ihr heilig war.
Cool down, würde der Schlaukopf Felix sagen. Aber Felix saß bei Geoff im Zwinger, pflegte den leidenden Hund, führte Buch und hatte Tom bereits eine hoffnungsfrohe SMS geschickt:
Geoff schafft es (Smiley).
Felix kümmert sich rührend um Geoff, lobte Tom den Jungen.
Macht das denn Sinn?
Geoff ist noch jung, ein alter Hund würde es mit diesen schweren Verletzungen nicht schaffen.
Was könnte denn noch passieren?
Der Tierarzt meint, ein multiples Organversagen sei in den kommenden Tagen nicht auszuschließen.
Beim Essen las Jara gern in einer Gesetzessammlung. Sie kannte das Buch halb auswendig. Suppe war auch darum ein von ihr bevorzugtes Gericht, weil man beim Löffeln nur eine Hand brauchte. Doch nun lag das zerlesene Buch umgedreht neben dem Teller, in dem noch ein roter Rest schimmerte.
Tom räusperte sich, etwas kratzte in seinem Hals.
Du siehst müde aus, stellte Jara fest.
Im Gegensatz zu dir, hätte Tom sie nun aufziehen können, du siehst richtig schneidig aus.
Doch er verkniff sich auch diese unangebrachte Bemerkung. Den Mund halten zu müssen, war gelegentlich der Preis für das Glück, von dieser Frau geliebt zu werden. An Jaras Hals wurde das Pochen der Schlagader kurz sichtbar. Befand sich dort der Sitz ihrer Stärke und ihrer Zerbrechlichkeit?
Er fixierte den sensiblen Punkt.
Was ist mit dir, Tom.
Naja, sagte er mit merkwürdig rauer Stimme, meine drei Elternteile sind ganz schön zusammengestaucht
Weitere Kostenlose Bücher