Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvio Blatter
Vom Netzwerk:
mit dem Rauchen aufgehört. Er trank zu viel Alkohol, zu viel Bier.
    Und indischen Rum.
    Und er dachte viel zu viel nach.
    Er sollte sich ins Ausland absetzen, am besten sogleich. Überall auf der Welt könnte er einen Bus fahren, einen Lastwagen. Alice würde ihn begleiten, sie wäre mit jeder Stadt einverstanden, sie stellte keine Fragen und käme mit, wohin die Reise auch führte.
    Die Nase führte ihn zur Dönerbude. Leo war Stammgast. Der Inhaber, ein Türke, war immer schon da, wenn Leo angetrabt kam, als erwarte er ihn. Der Mann hatte behaarte Handrücken und einen Schnauzer wie eine Schuhbürste. Er wusste, wie Leo seinen Döner haben wollte. Ohne eine Bemerkung über Leos Kahlschur zu machen, teilte er das Fladenbrot, legte Zwiebelringe und Salatblätter hinein und spritzte viel scharfe Soße darüber. Leo kaufte ein Bier und stellte sich mit dem warmen Essen an einen Stehtisch.
    Leo war nicht der geborene Türkenfreund. Aber den Döner hatten nun einmal sie erfunden. Ebenso die Verschwiegenheit. Türken waren verlässliche Kumpel. Ohne eigene Ambitionen und falsche Neugier. Leo arbeitete gern mit ihnen zusammen. Auch wenn sie einen Familienfimmel hatten. Söhne, Söhne, Söhne. Und folgsam hinter dem Mann her watschelnde Ehefrauen. Und keusche Töchter. Man war klug beraten, ihr Gehabe um die Familie nicht zu kommentieren. Türken reagierten mimosenhaft. Leo teilte ihr Ehrgefühl, ihren Stolz. Aber sie waren auch loyal. Ihre zwanghafte Art, mehrmals am Tag Richtung Mekka auf die Knie zu fallen, den Boden zu küssen und Allah, Allah zu flüstern, übersah Leo geflissentlich. Sie legten sein Lächeln als Zustimmung aus. Es war neutral. Er hatte es Buddha abgeschaut. Sein eigenes Lächeln erschien nur auf seinem Gesicht, wenn er an Alice dachte. Er sollte ihr auch Blumen mitbringen, etwas Gelbes.
    Er wischte den Mund ab, gesättigt, im Augenblick wunschlos. Der Gaumen war noch kalt vom letzten Schluck Bier. Leo machte sich auf den Weg, nicht weit entfernt befand sich ein Supermarkt, der auch Blumen verkaufte.
    Gestern hatten die Kumpel Leo unbesehen geholfen. Ohne lange herumzumachen oder Fragen zu stellen. Im Prinzip handelte es sich ja immer um dasselbe: Leo klaute das bestellte Auto und rief den Chef der Firma an. Der setzte den Tross in Bewegung. Wenn der Job beendet war, bekam jeder Mann seinen Anteil, bar auf die Hand.
    Diesmal war es nicht Routine gewesen. Leo war nicht wie üblich mit dem gestohlenen Auto zur Übergabe vorgefahren. Er hatte nicht mit angepackt, als die Männer die Wohnung ausweideten. Nicht einmal der mit prächtigen Sushi gefüllte Kühlschrank hatte seine finstere Miene aufhellen können. Leo Zimny, die Hände in den Hosentaschen, hatte sich in der großen Wohnung umgesehen. Langsam, aber mit zugeschnürter Kehle und klopfendem Herzen, war er von Zimmer zu Zimmer gegangen, neiderfüllt, da er nicht umhin konnte, sich das friedliche Familienleben vorzustellen, das sich in diesen Räumen bis vor Kurzem noch abgespielt haben musste:
    Mann und Frau und Kinder.
    Familienglück.
    Zeugten nicht die frischen Sushi gerade davon?
    Was seine Wut nochmals schürte.
    Oder der seltsame Stein auf dem Schreibtisch in Paul Fontanas Büro, er sah aus wie eine Pfeilspitze. Er nahm ihn in die Hand, der Stein war schwer, gewiss ein Meteorit.
    Leo steckte ihn ein.
    Wortlos war er aus der Wohnung gestürmt.
    Leo Zimny hatte sich erneut in den unbequemen Fiat Bravo gesetzt und war mit der lästigen Frage im Kopf zum Haus am See gefahren, warum er in einem Leben steckte, das er sich so niemals ausgesucht hätte– und nicht in einem anderen, das doch genauso gut möglich wäre, in dem Leben, das er sich als junger Mann vorgestellt hatte, einem Leben, das wie eine mit Buntstiften sorgfältig ausgefüllte Malvorlage war und ein großes Lob verdiente.

DAS WAR GESTERN GEWESEN . Ein hässlicher Montag. Leo war noch nicht für die Fortsetzung bereit, für den nächsten Schritt, mit dem der auftrumpfende Dienstag ihn quälen wollte. Der Plan war beschlossen im Hirn. Aber noch nicht in seinem Herzen. Leo wartete auf das innere Signal zur Ausführung. Den Funken. Heute musste alles klappen, fehlerlos. Kein Debakel mehr mit elend japsenden Viechern.
    Genau dies versprach er Alice.
    Als er die Blumen auspackte, überraschte ihn der starke Duft.
    Und dies ist ein kleiner Meteorit, sagte er.
    Wieder zu Hause schluckte Leo eine Handvoll bitterer Schmerzmittel und Magnesium und massierte den steifen Nacken umständlich

Weitere Kostenlose Bücher