Vier Tage im August
gekommen sein. Felix kraulte den Hund vorsichtig, nahm Kekse, um ihn zu füttern. Geoff wollte nicht fressen, es war ihm zu anstrengend, er döste, und Felix vertrieb sich die Zeit damit, durch die Maschen des Gitters die Umgebung zu beobachten.
Es war ein heißer, bleierner Tag mit hoher Luftfeuchtigkeit. Wie Haut, die schwitzte, sonderte der See seinen Geruch ab. Es stank nach Algen und Fisch. Die Schwalben flogen knapp über dem Wasser. Sie jagten mit offenem Schnabel, ihre hellen Bäuche spiegelten sich im See. Die Fische schnappten nach Insekten, ihre Leiber blitzten auf, wenn sie sprangen. Einem Fotografen könnten Aufnahmen mit einer Schwalbe und einer Forelle gelingen. Silberne Haut und samtiges Gefieder. Das Gras am Ufer glänzte. Die Steinbrocken gleißten. Felix fiel auf, dass die Bäume auf der Wiese in Gruppen dastanden, als gehörten sie schon immer zusammen, als bildeten sie Familien. Fern liefen jetzt Blitze über den Himmel. Brennende Zündschnüre. Felix zählte die Sekunden. Bis der Donner in ihrem Gefolge losbrach. Ein Gewitter ballte sich zusammen. Myriaden wild gewordener Mücken wechselten die Richtung; die Menschen am Ufer gerieten in ihre Kampfzone.
Ivo hielt sich unten am See auf. Er hatte seine eigentliche Arbeit mit den Booten noch nicht wieder aufgenommen. Einen Termin mit Swiss-Surface hatte er abgesagt, obwohl der Direktor ihn am Telefon hatte aufmuntern wollen: Hast nicht du mir erklärt, dass ein Sportler immer weiterkämpft? Dass er sich nie einen dicken Kopf machen darf? Der Direktor wusste von der Attacke auf die Hunde. Von den fatalen Schüssen, die ihn am meisten beschäftigten, hatte ihm Ivo nichts erzählt.
Fatal?
Es ist ja noch glimpflich abgelaufen.
Der Betrieb war trotzdem zum Stillstand gekommen, Ivo wartete bisher vergeblich auf die Zuversicht, die notwendig war, um wieder loszulegen. Dass Emily ihn am Telefon gefragt hatte, ob sie für eine Weile bei ihm wohnen dürfe, und dass Felix in diesen schwierigen Tagen Geoff betreute, freute ihn. Er brauchte jetzt Rückhalt.
Versuch, wie bisher weiterzuleben, sagte seine Freundin.
Nadja strebte einen stabilen Alltag an. Die Wiederherstellung der Normalität, nannte sie es. Das war der Schlüssel. Man steht am Morgen auf, frühstückt gut, liest Zeitung, geht zur Arbeit, man erledigt seine Dinge, am Abend ein gutes Essen mit einem Glas Wein, dann ein Film, ein Buch, ein Gespräch, Liebe machen.
Ivo widersprach ihr nicht, Nadja sah alles richtig, alles klar.
Seit dem Anschlag auf Geoff war Felix nicht von dessen Seite gewichen. Der Tierarzt hatte den Hund mit Spritzen behandelt und eine Bluttransfusion durchgeführt. Sonst wäre das Tier gestorben. Dann hatte er Felix erklärt, wie Geoff gepflegt und ernährt werden sollte, und ihm ein paar Medikamente gegeben.
Ich werde Anzeige erstatten, hatte der Arzt beim Abschied steif erklärt und sich von Tom und Felix distanziert, als traue er ihnen nicht ganz: Hier liegt ein schwerer Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vor.
Geoff zuckte mit den Ohren und hob den Kopf. Mühsam schob er sich in eine wacklige Sitzstellung, er hechelte vor Anstrengung. Speichelfäden hingen von seinen Lefzen herunter. Mit einem Ruck kam er auf die Beine.
Ein Auto war vorgefahren. Felix hatte den Motor erkannt. Nun sah er Emily und Tom zum See laufen. Im grünlichen Licht des heraufziehenden Gewitters wirkte Emily wie eine Erscheinung. Felix starrte ihr hinterher, er konnte nicht anders, sein Blick blieb an ihr hängen.
Ivo hockte auf dem hölzernen Steg am See. Es sah aus, als sei er mit Angeln beschäftigt. Aber er angelte nicht.
Ivo, rief Emily.
Und lief auf ihn zu.
Ivo stand auf, umarmte sie.
Eine Zeit lang saßen sie nebeneinander auf dem Steg. Drei Menschen, die Felix liebte. Der Junge erwog, ebenfalls zum See zu laufen, sich zwischen Emily und Tom zu drängeln, in die Gruppe, die seine Augen zu einem einzigen Körper verschmolzen. Bestimmt erörterten sie die Ereignisse der letzten Tage. Heute waren zwei Polizisten dagewesen, sie hatten irgendwelche Gegenstände gesucht und fotografiert. Befände Felix sich auf dem Steg, redete er in der Gruppe mit, würde er Schimpfwörter und Flüche ausstoßen. Doch er blieb bei Geoff im Zwinger sitzen, rückte in seine Nähe und schob eine Hand in sein borstiges Fell. Das Herz des Hundes schlug; es pochte beständig, und jeder Schlag war ein unwiderlegbarer Beweis, dass Geoff lebte.
Später kam Emily in den Zwinger, Felix hatte sie schon lange
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