Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen
unreflektiert etwas, das wir in einem schlauen Artikel gelesen haben? Erklären wir unseren Kindern in erster Linie, wie sie sein sollten, und haben wir überhaupt eine Ahnung, wer sie eigentlich sind?
»Wir werden als Originale geboren und sterben als Kopie«, sagte der Philosoph Max Stirner (1806–1856). Bei Authentizität geht es darum, zur eigenen Kraft zu stehen und zu kommen. Zur eigenen Kraft kommen wir, wenn wir zu dem Menschen werden dürfen, der wir wirklich sind. Das bedeutet, dass wir versuchen, die eigene Persönlichkeit jeden Tag aufs Neue zu vertreten und die unserer Kinder mit aller Liebe und Wohlwollen zu entdecken und zu akzeptieren.
Erst drei Jahre alt und tief verzweifelt
Wir haben einen 3-jährigen Sohn, der im letzten Jahr viele große Veränderungen in seinem Leben erfahren hat, und jetzt könnte ich ein bisschen Hilfe und einen guten Rat gebrauchen, wie ich mit der ganzen Situation umgehen soll. Wir wohnen im Ausland und haben, was die Betreuung der Kinder angeht, keinerlei Entlastung. Mein Mann hat einen Job, der kürzere und längere Dienstreisen erfordert – ein Umstand, der dazu geführt hat, dass mein Sohn sehr abhängig von mir geworden ist und Angst hat, mich zu verlieren.
Das Hauptproblem besteht darin, dass mein Mann gerade eine Dienstreise angetreten hat und über vier Monate fort sein wird. Also bin ich in dieser Zeit ganz allein für meinen Sohn und seinen kleinen Bruder, der vor einem halben Jahr geboren wurde, verantwortlich. Bereits kurz nach der Geburt unseres Kleinen musste mein Mann für ein paar Wochen geschäftlich fort. So hat mein 3-Jähriger erst kürzlich zwei Traumata zur gleichen Zeit erlebt: »Mama hat keine Zeit für mich, und Papa hat mich verlassen.«
Seitdem er mitbekommen hat, dass sein Vater abermals auf Dienstreise geht, ist er sehr aggressiv geworden. Er schlägt und tritt um sich, schreit und flucht ständig. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht mindestens vier Mal miteinander in Streit geraten. Zu seinem kleinen Bruder ist er sehr lieb, doch im Umgang mit anderen Kindern und Erwachsenen ist er viel aggressiver als früher. Im Grunde weist er alles zurück, was ich sage, will aber permanent Aufmerksamkeit haben. Ich versuche, sein negatives Verhalten zu ignorieren und mich nur auf das positive zu konzentrieren, doch scheint er vor allem für seine Fehler Aufmerksamkeit bekommen zu wollen, nicht für die guten Dinge.
Weil ich so viel um die Ohren habe, reicht die Zeit meistens hinten und vorne nicht, und wenn ich mich endlich mit ihm beschäftigen kann, will er nicht mit mir spielen.
Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll, um seinen Kummer zu lindern. Er spricht nicht besonders gut, weil er von so vielen verschiedenen Sprachen umgeben ist, doch er weiß, dass ich alles verstehe, was er sagt. Wie soll ich es anstellen, um sein oder mein Verhalten zu ändern, sodass ich mit ihm wieder eine schöne Zeit verbringen kann, wie es früher der Fall war?
Gibt es irgendeine Möglichkeit, wie ich mich aus dieser Situation befreien kann, ohne ihm noch größeren Schmerz – eventuell sogar ein Langzeittrauma – zuzufügen?
Eine unglückliche und verzweifelte Mutter
Antwort von Jesper Juul:
Lassen Sie mich zunächst sagen, dass keine unmittelbare Gefahr besteht, Ihr Sohn könne ein Langzeittrauma davontragen. Das wäre nur dann der Fall, wenn Sie ihn für sein derzeitiges Verhalten bestrafen oder von ihm verlangen würden, dass er zu allem gute Miene macht. Denn damit nähmen Sie ihm das Recht, seine wahren Gefühle zu zeigen. Hingegen sind hier andere wichtige Dinge im Spiel, die von Ihnen vielleicht mehr überschüssige Energie erfordern, als Sie zurzeit aufbringen können. Ich vermute, Sie sind sich seit Langem im Klaren darüber, dass der Job Ihres Mannes zahlreiche Dienstreisen, womöglich auch Umzüge und so weiter erfordert. Ich vermute auch, dass Sie nicht besonders tief in sich gehen müssen, um ein Echo von Gefühlen wie Trauer, Verrat, Einsamkeit und Zorn zu finden – Gefühle, die von Ihrer Vernunft, Ihrer Liebe und Ihrem Intellekt gedämpft oder die meiste Zeit überdeckt werden. Hinzu kommt, dass Sie selbstständig und stark und es gewohnt sind, allein zurechtzukommen.
Auch Ihr Sohn empfindet all diese Gefühle, doch kann er sich nicht mit Intellekt, Stärke oder rationaler Vernunft behelfen. Er trägt so viel Trauer und Zorn in sich, dass er nicht weiß, wie er damit umgehen soll. Zugleich muss er mit der Tatsache zurechtkommen, dass
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