Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen
bewirkt hat, dass es in der Erziehung nur selten zu Konflikten kam. Wir wohnen beide nur zehn Minuten voneinander entfernt und in der Nähe von Oscars Schule.
Doch neulich hat es einen schwerwiegenden Zwischenfall gegeben: Seit September letzten Jahres bin ich Hockeytrainer für eine große Gruppe von Jungen. Jeden Dienstag war Training, und einmal im Monat haben wir ein kleines Turnier veranstaltet. Nächsten Sonntag ist das letzte Turnier dieser Saison, danach wollen wir gemeinsam mit allen Eltern und Kindern (insgesamt 45 Personen) eine Pizzeria besuchen. Oscars Mutter hat sich weder beim Training noch bei einem der sechs Turniere blicken lassen, die den Winter hindurch stattgefunden haben.
Am Donnerstag letzte Woche hat sich Oscar im Hort, den er nach der Schule besucht, ziemlich schlecht benommen. Er stand ewig auf einem Stuhl und wollte nicht runterkommen, obwohl er mehrfach dazu aufgefordert wurde. Wenn die Betreuer ihn angesprochen haben, hat er nur gelacht und demonstrativ gerülpst, als er zurechtgewiesen wurde.
Ein Benehmen, das man wirklich nicht tolerieren kann.
Als Oscars Mutter mir erzählte, was passiert ist, hatte sie schon eine Strafe für den Jungen verhängt, die unter anderem darin bestand, dass er am nächsten Sonntag nicht beim Turnier mitspielen und auch nicht mit zum gemeinsamen Pizzaessen kommen darf. Ich habe ihr gesagt, dass ich es nicht richtig finde, dass sie ihm zur Strafe die Teilnahme an einer so positiven Aktivität verbietet. Bis zum Sonntag sind es noch vier Tage, und die Strafe trifft ihn sehr hart. Außerdem betrifft sie auch noch seine Mannschaft, die auf einen Spieler verzichten muss.
Hätte ich meinen Sohn selbst vom Hort abgeholt und von seinem Benehmen erfahren, hätte ich niemals eine Strafe verhängt, die das Leben seiner Mutter berührt. Außerdem bezweifle ich, dass so eine Strafe auch nur die geringste Auswirkung auf sein zukünftiges Betragen hat. Ich glaube eher, dass man seine Kinder immer wieder dazu anhalten sollte, in Ruhe zuzuhören, wenn Lehrer, Hortbetreuer oder Trainer zu ihnen sprechen. Was meinen Sie, Jesper?
Ein sehr frustrierter Vater
Antwort von Jesper Juul:
Das ist eine spannende Frage, mit der sich viele Eltern tagtäglich konfrontiert sehen. Die Idee von Strafen als notwendiges und konstruktives Erziehungsmittel verliert bei vielen Erwachsenen nur sehr langsam an Einfluss, und solange das der Fall ist, besteht Grund genug, den charakter und die Wirkung von Strafen näher zu betrachten. Wenden wir uns also zunächst Oscars »Verbrechen« zu:
Er hat sich auf einen Stuhl gestellt, was offenbar den Regeln im Hort widerspricht. Man will ihn dazu bringen, herunterzusteigen, doch er bleibt stehen und lacht. Ich nehme an, dass sich die Hortbetreuerin dadurch provoziert fühlte, weil sie Oscars Verhalten als
Respektlosigkeit ansah. Doch bei Kindern bis zum achten Lebensjahr ist das selten der Fall. Oscar ist auf den Stuhl gestiegen, weil das Teil eines Spiels war oder weil er mit ihr spielen wollte. Ihre kritische Reaktion überraschte ihn und machte ihn verlegen – deshalb lachte er, statt zu weinen. Für einen Pädagogen, der sich über kindliche Reaktionsweisen und Gedankengänge im Klaren ist, hätte die Sache hiermit beendet sein können. Oscar hat eine Grenze überschritten und ist zur Ordnung gerufen worden. Seine Reaktion zeigte, dass er das verstanden hat und nur versuchte, aus dem Konflikt herauszukommen, ohne das Gesicht zu verlieren. Doch die Betreuerin entschied sich dafür, den Fall vor den »Obersten Gerichtshof« zu bringen, der dann das Strafmaß festsetzte.
Es ist eine alte Unart von Pädagogen und Lehrern, dass sie selbst keine Verantwortung oder Mitverantwortung für die Konflikte übernehmen wollen, die sie mit Kindern haben. Ich nenne es eine Unart, weil der Konflikt ihrem spezifischen Verhältnis zu dem jeweiligen Kind entspringt, weshalb sie das Problem auch miteinander lösen sollten. Es ist schon in Ordnung, die Eltern zu informieren, doch sollte man ihnen nicht die Funktion eines Gerichts zuweisen. Wenn man dies tut, schwächt man den Respekt des Kindes, statt ihn zu stärken, und sorgt dafür, dass es vor allem seine Strafe im Blick hat, statt über sein »Verbrechen« nachzudenken. Ein solches »management by fear« mag die Gehorsamkeit des Kindes erhöhen, doch wird es langsam, aber sicher den Respekt vor dem Erwachsenen und dessen Regeln verlieren.
Oscars Mutter hat sich für eine Bestrafungsmethode entschieden, die
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