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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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unliebenswürdig, aber unverbindlich und alles andere als kurzweilig. Elektrische Funken gingen von ihm nicht aus. Im ganzen verlief das Gespräch sachlich. Zeit mit der Darlegung unserer bekannten prinzipiell entgegengesetzten Positionen verloren wir nicht. Mir ging es um konkrete Verbesserungen im Reise- und Besuchswesen. Bescheidene Erfolge konnte ich erzielen.
Der Wirbel um die ganze Unternehmung flaute bald wieder ab, wie es der Sache auch gemäß war.
    Neben dem praktischen Tagesstreit standen auch immer historisch-geistige Auseinandersetzungen auf dem Programm. Für ihr Bedürfnis, eine eigene deutsche Nation zu sein, bediente sich die SED durchaus nicht nur ihrer Parteiideologie. Mehr und mehr versuchte sie, ihr Verlangen nach einem »sozialistischen Nationalbewußtsein« durch Inanspruchnahme der deutschen Geschichte zu stärken. Honecker ließ das berühmte Reiterdenkmal Friedrichs des Großen von Rauch wieder Unter den Linden aufstellen. Seine Partei beschränkte sich nicht mehr darauf, nur die Anführer aus den Bauernkriegen als die klassenkämpferischen Vorläufer der DDR in Anspruch zu nehmen. Vielmehr sollten nun auch Johann Sebastian Bach aus der Barockzeit, der erzkonservative Feldmarschall Yorck aus den Befreiungskriegen oder gar der Napoleon-Bewunderer Goethe in die Herkunftsgeschichte der DDR eingefügt werden.
    Besondere Bemühungen gab es zur Feier des fünfhundertsten Geburtstages von Martin Luther. Honecker nannte ihn einen der bedeutendsten Humanisten und bürgerlichen Revolutionäre. Luther wurde in die Ahnengalerie der sozialistischen Nation eingereiht.
    Für uns im Westen war dies aber nach meiner Überzeugung kein Grund, nur die Nase zu rümpfen. Wichtiger war es, sich auf den friedlichen Wettbewerb im Hinblick auf die historischen Wurzeln ernsthaft einzulassen. Hatten wir das etwa zu fürchten? Wer sich auf Bach beruft, wird an dessen geistig-künstlerischem Maßstab doch nur wachsen können. Dasselbe gilt für die Humanität Goethes oder für den tiefen Patriotismus von Yorck. Und Martin Luther? Die intensive Beschäftigung mit ihm während des Jubiläumsjahres konnte niemandem schaden. Das galt nach meiner Überzeugung sowohl über innerdeutsche als auch über kirchliche Trennungslinien hinweg. Der ökumenische Charakter der Feiern für die Confessio Augustana, die damals gerade in
Augsburg anliefen, erschien mir dafür als ein Beweis. Am Ende wird niemand um die Erkenntnis herumkommen, was Luther wirklich gepredigt hat, nämlich nicht die Revolution, sondern die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade - des östlichen und des westlichen Sünders.
    Für uns ging es darum, zu zeigen, daß der Versuch einer Aneignung der deutschen Nationalgeschichte im Sinne eines Alleinvertretungsanspruches niemandem weiterhelfen würde. Freilich mußten wir da auch mit unserem westlichen Bewußtsein bis hinein in unsere tägliche Umgangssprache aufpassen. Was sollten denn die Deutschen in der DDR davon halten, daß wir sie zwar als unsere Landsleute, unsere Brüder und Schwestern bezeichneten, zugleich aber im Sportteil der Medien über ein Länderspiel »Deutschland gegen DDR« berichteten?
    Daß Honecker damit begann, sich historisch nicht nur auf Thomas Münzer und Karl Marx, sondern über Martin Luther hinaus auch auf den Alten Fritz, auf die preußischen Reformer und gar auf die Königin Luise zu berufen, warum sollten wir dies fürchten? Immer wieder haben Politiker ihre eigene Sache im Auge, wenn es ihnen um die Geschichte geht. Wer die Geschichte hat, so heißt es dann, hat möglicherweise auch die Zukunft. Für uns Deutsche im Zeichen der Teilung lieferte die Beschäftigung mit der Geschichte in Wahrheit lauter Anzeichen für unsere Zusammengehörigkeit. Es gab keinen Grund, das wachsende Interesse der SED für historische Ereignisse und Persönlichkeiten als ein probates Mittel anzusehen, eine dauerhafte Teilung zu begründen.
    So blieb die Deutschland- und Ostpolitik in ihrer historischen, politischen und menschlichen Dimension das Herzstück meiner Aufgaben als Berliner Regierender Bürgermeister.

Berliner Innenpolitik: Arbeit, Wirtschaft, Sozialwesen, Ausländer, Kultur
    Der stets überaus arbeitsreiche Alltag in Berlin war ebenso wie die Zusammenarbeit in unserer Senatsmannschaft vorzugsweise mit innerstädtischen Problemen angefüllt. Dank unserer Meinungs- und Temperamentsunterschiede ging es im Senat lebhaft, stets geordnet und, wie Diplomaten ihre Tätigkeit so hübsch zu nennen

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