Vier Zeiten - Erinnerungen
Wegen ohne Konfrontation nach außen zu lösen. Dennoch blieb der Druck der Sowjetunion in Richtung Bündnisdisziplin vorherrschend.
Das Hauptproblem der östlichen Führungsmacht wurde ihr ständig gewachsener wirtschaftlicher Rückstand und der Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Da ihr Schwerpunkt, die Rüstung, sie zwar sicherte, aber zur machtpolitischen Verwendung nur noch bedingt taugte, wurden die allgemeinen Schwächen des sowjetischen Systems um so spürbarer. Mit der Heilslehre ihrer Dogmen ließen sich in der Welt keine Fortschritte mehr erzielen. Ihre Ideologie verkümmerte immer mehr zu einem Herrschaftsvokabular ohne überzeugende Glaubenskraft. Blieben die Schätze der Natur und die stets hohen Fähigkeiten ihrer Menschen. Doch unter der Dominanz eines nach außen abgeschlossenen, den Austausch mit der übrigen Welt geradezu fürchtenden Systems kamen sie nicht zur Geltung. Wirtschaftlich war die Sowjetunion kaum noch zur ausreichenden Selbstversorgung imstande, ganz zu schweigen von einer erfolgreichen Teilnahme an globaler Konkurrenz. Ein Provinzialismus herrschte vor, der den Anspruch auf eine Weltmachtstellung untergrub. Wer sich abblockt, fällt zurück. Es gibt keine Weltmacht ohne Welt.
So war das vorherrschende Problem der Sowjetunion die Modernisierung. Dringend bedurfte es dazu der Öffnung. Ließ sie sich so dosieren, daß das System erhalten blieb? Oder herrschte zwischen Reformfähigkeit und Stabilität des Systems ein unaufhebbarer Widerspruch? Immer dringlicher wurde dies zur Gretchenfrage.
Die Reaktion des westlichen Lagers entsprach seinem pluralistischen Charakter. Die amerikanische Führungsmacht, die für den Schutz der Rahmenbedingungen, also des »stalemate« mehr oder weniger allein sorgen mußte, setzte zunächst noch immer auf Eindämmung. Reagan wollte Moskau primär durch Rüstung in die Knie zwingen. Die europäischen Natopartner wollten dennoch dieVerbindungen über die Blockgrenzen hinweg nicht abreißen lassen. Dies galt vor allem für uns Deutsche. Überzeugend hatte die Bundesregierung sich durch die Nachrüstung dafür eingesetzt, die Balance der Waffen wiederherzustellen, die durch die sowjetischen Mittelstreckenraketen aus dem Gleichgewicht geraten war. Zugleich aber standen für uns konstruktive ost- und deutschlandpolitische Fortschritte auf dem Programm. Es ging um eine kräftige Vergrößerung der Löcher durch die innerdeutschen Mauern zugunsten der Menschen. Bei einem Abbruch jeglicher Entspannungspolitik hätten die Deutschen den empfindlichsten Schaden davongetragen.
Darüber hinaus aber erlebte nun auch der westliche Kerngedanke der Schlußakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 seine Bewährung: die systemöffnende Koexistenz und Kooperation. Durch wirtschaftliche Zusammenarbeit, Kredite, Budgethilfen und Expertenaustausch sollte ein »Zugewinn an Bindegewebe und grenzüberschreitender Mobilität« (Klaus Ritter) erzielt und dadurch das östliche System nicht nur geöffnet, sondern verändert werden. Hand in Hand damit gewannen die im Korb 3 von Helsinki verkündeten Freizügigkeitsziele wachsenden Nachdruck auf die östlichen Machthaber.
Ansprache am 8. Mai 1985
In jener Mitte der achtziger Jahre konnte jeder das Knistern einer Veränderung im Gebälk des Ost-West-Konfliktes hören. Keiner von uns wußte, was uns bald darauf erwartete. Aber die positive Anspannung wuchs und mit ihr auch die internationale Aufmerksamkeit für das Verhalten von uns Deutschen, für unsere Zielstrebigkeit und unsere Sensibilität.
In diese Zeit fiel die erste Phase meiner Präsidentschaft und stellte mich alsbald vor schwierige Anforderungen. Die Atmosphäre in der Bundesrepublik war einigermaßen gereizt. Die Landsmannschaft der Schlesier lud Kohl zu ihrem jährlichen Treffen ein, das sie unter das Motto »Schlesien ist unser« gestellt hatte. War das die neue Zukunft unserer Vergangenheit? Sollte nun auf einmal die Bindungswirkung der Ostverträge in bezug auf die polnische Westgrenze geleugnet werden, auf die sich der Bundestag schon festgelegt hatte? Der Kanzler, der seine Teilnahme zugesagt hatte, wurde in eine prekäre Lage gebracht und mußte auf eine Abänderung des Mottos hinwirken.
Ein weiteres Problem stellte sich mit dem vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985. Zeitlich fiel es mit einem geplanten Deutschlandbesuch des amerikanischen Präsidenten Reagan zusammen. Zwischen Kanzleramt und Weißem Haus war der Gedanke erwogen worden,
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