Vier Zeiten - Erinnerungen
Anfang. Aber wir sind als Menschen der Ermutigung bedürftig und zugänglich. Jeder kann aus eigenen Fehlern lernen. Es gilt, ihm dabei zu helfen, ihn also nicht ständig auf seine Vergangenheit festzunageln, sondern ihm die Beteiligung an einer neuen Zukunft zu erleichtern und zuzutrauen. Das ist lebenswichtig für die Freiheit, in der wir vereint bestehen wollen. Versöhnung unter Menschen kann ohne Wahrheit nicht gelingen. Wahrheit ohne Aussicht auf Versöhnung aber ist unmenschlich.
Kirchen in der DDR
Es ist kein Wunder, daß es Kirchenmänner sind, die mit solchen Vergangenheitsaufgaben betraut wurden. Mit ihnen verbindet sich die Hoffnung auf eine gewiß schmerzhafte, aber heilende Reinigung von Wunden. Die Institution als solche ist bei uns staatlich: die Bundesoberbehörde des Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Der »Bundesbeauftragte« Joachim Gauck ist nicht weisungsgebunden. Er ist Pfarrer, auch wenn er für die neue Funktion seine Ordinationsurkunde abgegeben hat. Meinen Respekt vor ihm habe ich bei der gemeinsamen Kirchentagsarbeit in der Zeit der Teilung gewonnen. Als langjähriges Mitglied des Rates der EKD und als Mann des Kirchentages habe ich viele Pfarrer und kirchenleitende Mitglieder der evangelischen Kirche in ihren Kämpfen und Konflikten kennengelernt. Die Kirchen selbst stellen ein wichtiges und erhellendes Kapitel in der vergangenen Geschichte der DDR dar.
Die Kirchen sind nach ihrem Auftrag und Selbstverständnis vom Staat unabhängig. Bei der römisch-katholischen Kirche ist dies evident; sie ist Weltkirche. Bei den evangelischen Kirchen in Deutschland gab es in ihrem Verhältnis zum Staat auch historisch unheilvolle Kapitel. Davon zeugt das Stichwort »Thron und Altar« aus dem neunzehnten bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein. Unter dem Nationalsozialismus gab es die unsäglichen »Deutschen Christen« mit ihrem sogenannten Reichsbischof. Doch versammelte sich der Kern der evangelischen Christen gerade gegen diese Verirrung in der sogenannten Bekennenden Kirche.
In der DDR war der Atheismus das weltanschauliche Programm der herrschenden SED. Von vornherein standen die Kirchen in manifestem Widerspruch zur Ideologie dieses Staates. Sie waren die einzigen über das ganze Land verteilten und organisierten, im inneren Zusammenhang stehenden Einrichtungen,
die sich nicht in der Hand und unter der offenen Aufsicht der politischen Herrschaft befanden. Genau deswegen waren sie auch das für die SED wichtigste Objekt des Mißtrauens, der Überwachung und der bald lockenden, bald drohenden heimlichen Unterwanderungsversuche.
Eine Möglichkeit, den SED-Staat als solchen zu revolutionieren, hatten die Kirchen nie. Ihre wichtigste Aufgabe war, ihr Proprium zu wahren, das heißt also die Sakramente zu verwalten, das Evangelium unverfälscht zu verkünden, die kirchlichen Gemeinden zusammenzuhalten, bedrängten Menschen zu helfen und als Seelsorger zu dienen.
Schon diese Aufgaben brachten die Kirchen in dauernden Konflikt mit der politischen Führung, zum Beispiel bei der Schulbildung, auch über die Spannungen wegen Religionsunterricht und Konfirmation hinaus. Die ständigen Auseinandersetzungen mit der Bildungsbeauftragten Margot Honecker waren eher noch böser als die mit ihrem Mann Erich.
Die Kirchen bekannten sich zum Recht und zur Würde eines jeden Menschen, unabhängig von seinen Gaben oder Schwächen. In diesem Sinne halfen sie, so gut sie konnten, den Behinderten. Mit großer Anstrengung nötigten sie dem SED-Regime wenigstens schrittweise ein Mindestmaß an Achtung und Zuwendung gegenüber Behinderten ab.
Die SED versuchte es gegenüber den Kirchen mit einer Doppelstrategie. Einerseits setzte sie die Mittel der offenen Schikanen und Verbote und die massive verdeckte Bespitzelung ein. Zum anderen aber, je älter die DDR wurde und je mehr ihre inneren Schwierigkeiten wuchsen, bemühte sich die SED, Elemente von Kirchenfreundlichkeit zu zeigen, um damit die Kirchen zu einer Verbesserung der Stimmung in der Bevölkerung zu nutzen. Vor allem im Westen gab dies mitunter Veranlassung zu der Annahme, wichtige Teilen der Kirchen hätten sich mit dem SED-Staat arrangiert, womöglich gar verbündet.
Der ominöse Begriff einer »Kirche im Sozialismus« tat ein
übriges. Glücklich war er nicht. Das ist aber kein Grund, ihn mißzuverstehen. Pfarrer Gauck und sein mecklenburgischer Bischof Rathke nannten die von ihnen gemeinte Losung: Kirche für
Weitere Kostenlose Bücher