Vier Zeiten - Erinnerungen
nehmen, wie es die Wirklichkeit gebietet. Mit ihrer Macht überlagern sie heute praktisch die fünf Verfassungsorgane, die wir haben, ohne selbst diesen Rang zu besitzen. Tatsächlich wird über die politischen Leitlinien in den Parteiführungen und Koalitionsgremien entschieden. Nach unserer staatlichen
Wirklichkeit kann dies kaum anders sein. Aber unsere Verfassung hat für diese Einrichtung nicht die Kontrollen vorgesehen, die sie für die verfassungsrechtlichen Organe normiert.
Wie wir alle wissen, wirken die Parteien auch tief in die Gremien und Personalien der elektronischen Medien hinein. Die Medien sind durch die Verfassung geschützt und für unsere demokratische Öffentlichkeit von unersetzlicher Bedeutung. Den Ehrentitel einer »vierten Gewalt« benötigen und verdienen sie nicht. In ihrem privaten elektronischen Sektor, einem tendenziell wachsenden Bestandteil der freien Wirtschaft, zeigt sich eine Tendenz, nicht nur die kritische Funktion gegenüber herrschenden Parteien zu mindern, sondern Politik in Unterhaltung zu verwandeln. Dort, wo sich kontroverse Schlagfertigkeitsduelle und personelle Machtkämpfe wie sportliche Spitzenspiele oder Krimis darstellen lassen, finden Leben und Bühne der Parteien breite Wiedergabe. Die schwierigen, komplexen, weniger unterhaltsamen Sachfragen kommen dagegen unter dem Diktat der Einschaltquoten zu kurz. Politiker spielen mit, da es ihnen den Zugang zum Unterhaltungspublikum erweitert. Die »Berlusconisierung« ist am Zuge.
Aus anderen Gründen als in der Weimarer Zeit gilt es in der Gegenwart, bei einer Kritik an der Parteienmacht auf der Hut zu sein. Im Gegensatz zur ersten deutschen Republik sind wir heute ein solide demokratisch geprägtes Volk. Wir sind eine große Gesellschaft, die sich nicht auf der Gemeindewiese selbst und direkt regieren kann. Dies hat sich auch in der DDR nach den entscheidenden, vom Volk gesteuerten Wendewochen im Winterhalbjahr 1989/90 bald gezeigt. Die politischen Aufgaben sind kompliziert. Ein weitverbreitetes, gefühlsmäßiges Konsensverlangen genügt nicht; kompetente Kontroversen sind nicht von Übel, sondern notwendig. Entscheidungen müssen verantwortet, das heißt von Personen getragen werden, nicht von anonymen Massen. Das repräsentative System ist ohne Alternative.
Bekanntlich haben politische Parteien in den westlichen Demokratien ein unterschiedliches Gewicht. In den USA sind sie ungleich schwächer als bei den Briten oder in Deutschland. Über die wichtigsten amerikanischen Kandidaturen wird letzten Endes durch Fernsehwettbewerbe entschieden, zu denen die Streiter auf persönliche Initiative und durch selbst gesammelte große Geldmengen antreten. Da ziehe ich unsere Parteifinanzierung vor, allen ihren Problemen zum Trotz.
Keine Demokratie kommt ohne ein pluralistisches Parteiensystem aus; es ist ein Teil ihrer Definition. Parteien ringen um Mandate und Macht; ihr Kampf um Mehrheiten ist notwendig und legitim. Aber gerade weil dieses Parteiensystem unentbehrlich ist, muß seinen Schwächen immer wieder entgegengetreten werden.
Ständig taucht dieselbe Schwierigkeit auf, nämlich ein Spannungsverhältnis zwischen Problemlösung und Machtkampf. Im Wettbewerb der Parteivorschläge soll der beste Weg zur Bewältigung der sachlichen Aufgaben ermittelt werden. Das ist der Sinn der Sache. Nur wer gewählt ist, kann seine Vorschläge realisieren. Deshalb muß er um die Macht kämpfen.
Es sollte jedoch klar und der Öffentlichkeit verständlich bleiben, daß die Macht nur das Mittel ist, das Ziel der Problemlösung zu erreichen. Wenn aber der Streit über die sachlichen Aufgaben zum bloßen Mittel degradiert wird, die Macht zu gewinnen, steht die Glaubwürdigkeit des Systems auf dem Spiel. Es geht mir hier nicht um Windmühlenkämpfe gegen Parteitaktik. Ich berühre das Thema nur deshalb, weil es auch mit dem Erfolg unserer Anstrengungen um die Einheit zu tun hat. Die Bundesrepublik wird von westgesteuerten Parteien beherrscht. Sie haben es dabei auch mit der ostbeheimateten PDS zu tun. Diese ist Nachfolgepartei und Erbin der ehemaligen SED. Der Umgang mit ihr ist nicht nur eine wahltaktische, sondern auch eine historisch-moralische Frage. Ein klar erkennbares ideologisches Programm vertritt die PDS derzeit nicht. Sie versammelt Proteststimmungen
und Ressentiments. Neue, auch junge Wähler, die für sie votieren, tun dies zumeist nicht aus Sehnsucht nach Honecker oder Mielke, sondern als Ausdruck von Alltagssorgen, die sie - zu
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